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Alain Griffel
Professor der Jurisprudenz mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht an der Universität Zürich

«Letztendlich ist die Wahl des rechtlichen Instruments zweitrangig. Vielmehr muss man wissen, was man überhaupt erreichen möchte.»

Hansruedi Diggelmann
Jurist, Raumplaner, Netzwerker

«Bauen ist in erster Linie eine kulturelle Aufgabe, keine rechtliche.»

Martin Hofer
Architekt, Entwicklungsberater,
Ethiker, Mitgründer Wüest & Partner

«Die Nutzung sollte frei sein. Die Ausnützung sollte frei sein.»

Christian Salewski
Architekt und Städtebauer
Christian Salewski & Simon Kretz Architekten GmbH

«Die tatsächliche Wirkung von Bauten entsteht nicht nur durch die anrechenbaren Flächen.»

Giulio Bettini
Architekt
PENZISBETTINI Architekten

«Baumassen und Aussenräume müssen ständig neu definiert werden.»

Caspar Schärer
Generalsekretär BSA, Journalist, Architekt

«Natürlich schränken Baugesetze die Kreativität ein – hoffentlich tun sie das!»

Lukas Bühlmann
Direktor EspaceSuisse

«Früher dachten wir, dass neue Instrumente nötig wären. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Der Prozess ist entscheidend! Wir brauchen eine neue und breit abgestützte Planungskultur. Und an dieser Planungskultur müssen wir alle zusammen arbeiten.»

Herr Bühlmann, befindet sich die Raumplanung in einer Krise?

Nein, das finde ich überhaupt nicht! Momentan durchleben wir eine sehr spannende und inspirierende Zeit. Durch die erste Teilrevision des RPG kam wahnsinnig viel in Gang. In unserer Tätigkeit in der Beratung von Gemeinden und Kantone merke ich: Es wird wieder über Qualität gesprochen und zwar sowohl hinsichtlich neuer Entwicklungen wie auch hinsichtlich des schützenswerten Bestands. Auch Verfahren und Instrumente werden überdacht. Mittlerweile haben die meisten erkannt, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher und bei Bedarf nach Bauland einfach eingezont werden kann.

In der Siedlungsentwicklung geht es heute um eine hochwertige Verdichtung und diese ist sehr facettenreich. Siedlungsqualität, die eine hochwertige Verdichtung auszeichnet, bedeutet: eine gute bevölkerungs- und nutzungsmässige Durchmischung. Aussen-, Frei- und Grünräume, wo man sich trifft und durchatmen kann. Identität und Geschichte, die spürbar sind, eine gute Nahversorgung, etc. Die wichtigen Fragen sind somit alle auf dem Tisch und müssen besprochen und umgesetzt werden. Und zwar von allen Akteuren, von Politikern, Raumplanerinnen, Juristen, Architektinnen, Landschaftsarchitekten. Alle pflegen momentan noch etwas zu sehr ihr eigenes Gärtchen, obwohl es allen um dasselbe geht. Ich plädiere deshalb für eine stärkere Zusammenarbeit und es braucht auch neue Prozesse. Prozesse, die diese Zusammenarbeit fördern, zu guten Resultaten führen und die Beschwerden reduzieren.

Wie sollen sich Architekten im Diskurs um die Verdichtung gegen innen einbringen?

Die Architekten müssen noch kreativer sein! Zu schnell meinen sie, das Recht verhindert dieses und jenes. Dabei lässt das Recht viel Spielraum offen, man muss ihn nur kennen und nutzen. Die Architekten beklagen sich viel zu schnell über die Baugesetze. Dabei sind diese nur ein Teil des Puzzles, das viel komplexer ist, da kommen – von gesellschaftlichen und ökonomischen Anliegen ganz zu schweigen – noch weitere Normen hinzu, Hygienevorschriften, der Lärmschutz, Parkplatzvorschriften, Brandschutz und dergleichen.

Sicher könnte und müsste man da einiges deregulieren und flexibilisieren. Letztlich aber müssen wir lernen, mit der Komplexität umzugehen. Wo viele Menschen dicht zusammenleben und in einer Zeit, wo die Menschen immer mehr auf sich selber schauen und der Gemeinsinn verloren geht, kommen wir um Vorschriften nicht herum. Aufgabe der Architekten muss sein, die vorhandenen Spielräume ausfindig zu machen und kreativ zu nutzen, statt sich nur zu beklagen.

Und auf Seite der Behörden?

Auch auf Seite der Behörden braucht es engagierte Leute, die diesen Spielraum mittragen und ermöglichen. Anstelle eines «Das kann man nicht machen!» wünsche ich mir seitens der Behörden vermehrt kreative Lösungen. Lösungen, die aufzeigen, wie das Gewünschte im Rahmen des geltenden Rechts realisiert werden kann.

Bleiben wir beim Recht. Brauchen wir nicht auch neue rechtliche Grundlagen und Instrumentarien?

Früher dachten wir, dass neue Instrumente nötig wären. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Viel wichtiger ist es, die Prozesse zu überdenken und so auszugestalten, dass die verschiedenen Anliegen frühzeitig auf den Tisch kommen und Konflikte rechtzeitig erkannt und verhindert oder minimiert werden können. Wichtig für solche Prozesse sind auch die Grundhaltungen der darin involvierten Personen. Die Beteiligten müssen offen, kritikfähig und lösungsorientiert sein und dürfen den Aufwand für gute Lösungen nicht scheuen. Der Prozess ist entscheidend! Denn wenn zuerst ein detailliertes Projekt ausgearbeitet wird, das rechtlich nicht realisierbar oder gesellschaftlich gar nicht erwünscht ist, also an der Urne oder vor Gericht scheitert, dann muss mitunter der ganze Planungsaufwand in den Sand geschrieben werden. Wir brauchen eine neue und breit abgestützte Planungskultur. Und an dieser Planungskultur müssen wir alle zusammen arbeiten.

Können die üblichen abstrakten Zonenpläne für die Innenverdichtung überhaupt genutzt werden?

Abstrakte Zonenpläne reichen dazu nicht aus. Vielmehr brauchen wir massgeschneiderte Lösungen. Man darf Zonenpläne aber nicht einfach unter einem Titel subsumieren, es gibt ja in den Kantonen und Gemeinden unzählige mögliche Formen. Das Zürcher Planungs- und Baugesetz ist nach meiner Erfahrung mit seinem abschliessenden Katalog an möglichen Nutzungszonen sehr restriktiv. Andere Kantone sind da grosszügiger und erlauben es den Gemeinden, die Zonen besser auf die örtlichen Gegebenheiten abzustimmen. So kennt der Kanton Zug zwar wie der Kanton Zürich eine abschliessende Regelung von Nutzungszonen. Mit der «Bauzone für spezielle Vorschriften» hat er jedoch eine Art Blankozone geschaffen. Diese erlaubt mehr Flexibilität. Das müsste der zu verfolgende Ansatz sein, Zonen zu schaffen, die auf einen konkreten Ort zugeschnitten werden können.

Was ich zudem gut finde, sind die «Zonen mit Planungspflicht» im Kanton Bern. Vergleichbare Instrumente gibt es auch anderswo. Die Idee der Berner Lösung ist, dass in der Grundordnung Gebiete ausgewiesen werden können, die planungspflichtig sind und die Grundordnung dabei einen grossen Spielraum zulässt, beispielsweise bezüglich Art und Mass der Nutzung. Konkretisiert wird die Nutzung in der sogenannten Überbauungsordnung, einer Sondernutzungsplanung, die jedoch von der Exekutive und nicht vom Souverän erlassen wird. Dies erhöht die Planungs- und Rechtssicherheit. In Zürich kommen die Gestaltungspläne ja vor den Souverän, was die Prozesse verlängert und erschwert, denn die Grundeigentümer und Investoren sind von einer politischen Grundstimmung abhängig. Politische Einflussnahme ist in der Raumentwicklung wichtig; sie sollte aber auf der Ebene der Nutzungsplanung erfolgen und nicht in der Sondernutzungsplanung.

Neben der Grundordnung und der Sondernutzungsplanung gibt es ja noch informelle Instrumente. Was halten Sie von diesen?

Gerade auch auf informellen Weg passiert heute sehr viel Gutes, also mittels räumlichen Entwicklungskonzepten, Masterplänen, Leitbilder und dergleichen. Das schweizerische Recht lässt hier viel Spielraum, und das soll auch so bleiben. Häufig wird bei diesen informellen Instrumenten über die Verbindlichkeit gestritten. Meine Erfahrung: Wenn diese Prozesse gut aufgegleist sind und die Ergebnisse inhaltlich überzeugen, ist es egal, ob sie rechtlich verbindlich sind oder nicht. In diesen Fällen entfalten sie eine Verbindlichkeit, eben weil sie überzeugen. Umgekehrt gibt es ja immer wieder Situationen, wo selbst formelle Instrumente wie kommunale oder regionale Richtpläne nicht umgesetzt werden, weil sie inhaltlich schlecht sind.

Betreffend der politischen Grundstimmung: Wie kann die Bevölkerung ins Boot geholt werden?

Heute haben wir neue Möglichkeiten, insbesondere Visualisierungen, um der Bevölkerung die gewünschte Entwicklung aufzuzeigen. Früher war das viel schwieriger. In vielen Fällen wussten wohl selbst diejenigen, die den Zonenplan ausgearbeitet hatten, nicht, was herauskommen wird. Bilder, Modelle oder virtuelle Simulationen können diese Entwicklung heute besser aufzeigen. Es gibt ja auch neue Formen der Partizipation, wenn wir zum Beispiel an die Workshops auf dem SBB-Areal Neugasse in der Stadt Zürich denken. Das Problem ist hier oft die Repräsentation. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung nimmt an diesen Mitwirkungsprozessen teil; abstimmen wird aber letztlich die ganze Stadt.

In Sachen Partizipation gibt es im Kanton Luzern einen interessanten Ansatz. Hier verlangen gewisse Gemeinden von den Grundeigentümern Bebauungskonzepte, bevor sie den Zonenplan ändern. Die Konzepte müssen anhand von Modellen ausgearbeitet und auch der Nachbarschaft präsentiert werden. Dies erhöht die Akzeptanz und reduziert die Einsprachen.

Auch auf der Ebene der Baubewilligung wird heute der Qualität mehr Bedeutung beigemessen. So suchen in verschiedenen Gemeinden die Bauämter schon früh das Gespräch mit den Bauherren und begleiten das Verfahren, oder sie bieten Beratungen an. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Langenthaler Workshopverfahren mit seinen mehrstufigen Jurierungen und der nachträglichen Überarbeitung von Bauvorhaben. Die Resultate sind oft so überzeugend, dass sich die Bauherren freiwillig dem Verfahren unterziehen.

Und falls das Bauprojekt nicht den rechtlichen Regeln entspricht, dennoch aber eine gute Lösung aufzeigt? Sollen dann Ausnahmen erlassen werden dürfen?

Ja, aber der gesetzliche Weg muss eingehalten werden. Viele Gesetze lassen Ausnahmen zu und diese Ermessensspielräume müssen genutzt werden. Auch die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe bietet einen gewissen Entscheidungsspielraum. Zum Teil sehen die Vorschriften vor, dass die Ausnahmen vom Kanton erlassen werden. Dies ist richtig, denn so hat man in der Regel die Gewähr für eine einheitliche und willkürfreie Praxis. Falls aber eine einzelne Gemeinde für die Ausnahme zuständig ist, besteht die Gefahr, dass Partikularinteressen verfolgt werden. Dann braucht es nur einen finanzkräftigen Investor, und die Gemeinde wird über den Tisch gezogen. Ausnahmen sind mit Zurückhaltung zu gewähren. Sie dürfen nicht zur Regel werden, ansonsten muss man die Grundordnung überdenken.

Welche Rolle spielen die Gemeinden in der Raumplanung? Sie sollten doch am besten wissen, wie Innenentwicklung auf ihren Gebieten überhaupt erzielt werden kann?

Stimmt, doch sind viele Gemeinden leider nicht für diese anspruchsvolle Aufgaben gewappnet. Etwas im Bestand zu entwickeln ist deutlich schwieriger als auf der grünen Wiese. Dafür braucht es das Wissen von Experten. Vor allem kleinere Gemeinden haben häufig nicht die Ressourcen, um Fachleute einzustellen oder externe Planer einzubeziehen. Im Tiefbau, wenn es um Infrastrukturanlagen geht, werden die hohen Kosten oft akzeptiert. In der Raumplanung ist schnell mal alles zu teuer. Dabei wird vergessen, dass Planungen, welche die Weichen für die Zukunft stellen, vergleichsweise gar nicht so teuer sind und mögliche teure Fehlplanungen unterbinden können.

Die Gemeinden müssen wissen, was sie wollen und wohin die Reise geht. Sie brauchen deshalb Raumentwicklungskonzepte, Siedlungsleitbilder und dergleichen. Diese helfen ihnen auch beim Verhandeln. Sparen sollte man dabei nicht. Das Bewusstsein für eine aktive Planungskultur hat erfreulicherweise viele Gemeinden erreicht. Es dürfte aber noch mehr geschehen.

Können nicht die Kantone solche Anforderungen vorgeben und die Gemeinden dazu bringen, sich aktiv um die Gestaltung ihrer Zukunft einzusetzen?

Viele Kantone schreiben den Gemeinden heute vor, dass sie ein Siedlungsleitbild, ein Raumkonzept oder dergleichen erarbeiten müssen. Das finde ich eine schöne Errungenschaft, denn das sind genau die grundlegenden konzeptionellen Überlegungen, welche die Gemeinden voranbringen Dann diskutiert man nicht mehr isoliert über ein Schulhaus, einen Veloweg oder die Läden, die verschwinden, sondern über die gesamte kommunale Entwicklung. Ich bin ein grosser Befürworter solcher Konzepte. Sie müssen aber zwingend mit der Bevölkerung ausgearbeitet werden, denn das gibt die nötige Bodenhaftung.

Leon Beck, Michèle Favre und Patricia Kneubühler
Architekturstudenten der ETH Zürich

Architekturstudenten der ETH Zürich widmen sich juristischen und raumplanerischen Fragen. Drei Studenten untersuchen die aktuelle Rolle von Stadtbildkommissionen, zeigen Probleme und Chancen auf und diskutieren neue Ansätze.

Stadtbildkommissionen: Für eine neue Diskussion der Gesamtgestalt!

Die architektonische Qualität von Bauprojekten wird vielerorts in baurechtlich etablierten Gremien diskutiert. War früher in der Schweiz meist von Ästhetikkommissionen die Rede, so existieren heute viele unterschiedliche Bezeichnungen. Des Öfteren besitzen diese Gremien den Ruf, das Planen und Bauen wesentlich zu verlangsamen und komplizierter werden zu lassen. Sie nehmen in städtebaulichen Prozessen jedoch eine wichtige Rolle ein, auch wenn diese immer wieder hinterfragt und geschärft werden sollte.

Der heute gebräuchliche Überbegriff der Gestaltungsbeiräte mag auf den ersten Blick etwas allgemein klingen. Bei näherer Betrachtung beschreibt er die Rolle der Kommissionen aber vielleicht am besten. Denn das Wirkungsfeld der Stadtbildkommissionen kann im Prinzip ein sehr breit gefächertes sein und nach Annahme einer Arbeitsgemeinschaft des deutschen Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) neben Stadtgestalt, Image- und Standortmarketing eben auch ganz wesentlich die Bereiche der Kommunikation und Beteiligung tangieren (BBSR, Mehr Qualität durch Gestaltungsbeiräte, Bonn 2017, S. 14). So ist also auch Kommunikations- und Prozessgestaltung eine – wenn nicht sogar die wesentliche – Aufgabe der Kommissionen. Es stellt sich daher die Frage, ob die einmalige Beurteilung eines Baugesuches, die heute in der Schweiz meist gängige Praxis ist, diesem Ansatz gerecht wird, oder ob nicht eine Begleitung über den gesamten Projektierungsprozesses hinweg notwendig wäre. Dabei sollten die Kommissionen aber – auch bei Baugesuchen von Laien – ihre ausschliesslich beratende Funktion beibehalten.

Im Gegensatz zu den unterschiedlichen Bezeichnungen der Kommissionen ist die Grundlage, auf der ihre Empfehlungen basieren, oft sehr ähnlich. Sie verdichtet sich meist in den Termini der «hohen Qualität» und «guten Gesamtwirkung». Der Grad der Erfüllung wird dabei grösstenteils in Bezug auf die gelungene Eingliederung in den Bestand gemessen. Doch lässt die blosse Forderung nach Eingliederung nicht den individuellen Charakter eines Projekts ausser Acht? Wird dadurch nicht das Entstehen von im wahrsten Sinne des Wortes hervorragenden Bauten verhindert? Denn kann etwas, das sich eingliedern soll, sozusagen Teil des städtischen Hintergrundes werden soll, zugleich ein Monument sein und berechtigterweise auch den Vordergrund für sich beanspruchen?

Es ist eine Frage des Abwägens von städtebaulichen und architektonischen Qualitäten. Ein Abwägen der zwei seit jeher existierenden und einander von ihrem Wesen her konkurrierenden Definitionen von Schönheit. Einerseits Schönheit als Ausdruck eines Strebens nach Gleichheit und andererseits die Schönheit der Einzigartigkeit (Thomas Macho, Zeit Online, 2014). Diese beiden Seiten eines Projekts, die durchaus unterschiedliche Niveaus aufweisen können, in Einklang zu bringen bezeichnet auch Christoph Schläppi, Mitglied der Berner Stadtbildkommission, als fortwährende Herausforderung (C. Schläppi, persönliche Kommunikation, 28.11.2018).

Auch wenn die Vorgabe der «guten Gesamtwirkung» und der «Eingliederung von Bauten» festgeschriebene Begriffe sind, so sind sie doch sehr offen, was die Praxis im Vergleich zur theoretischen Definition überdeutlich zeigt. Und möglicherweise ist es gerade diese Unschärfe in den Begrifflichkeiten, die den Gestaltungsbeiräten heute grosse Handlungsspielräume eröffnet, deren Inanspruchnahme ihnen dann jedoch auch oft ein negatives Image verleiht.

Um diesem negativen Bild in der Öffentlichkeit entgegenzuwirken, ist es daher umso wichtiger, eine transparente Arbeitsweise der Stadtbildkommissionen zu garantieren und Prozesse öffentlich zu gestalten. Der wohl radikalste Versuch diesbezüglich wurde in Potsdam unternommen. Dort wurden Sitzungen von vornherein komplett öffentlich gestaltet. Dies hatte jedoch einen starken Rückgang der durch die Kommission beurteilten Projekte zur Folge, da gerade Investoren drastische Eingriffe in ihre Pläne zu einem sehr frühen Zeitpunkt befürchteten. Ein daraufhin etablierter erster nichtöffentlicher Sitzungsteil, in dem ein Konsens gefunden wird, mit dem man dann an die Öffentlichkeit tritt, hat sich jedoch als sehr zielführend erwiesen (vgl. BBSR, Mehr Qualität durch Gestaltungsbeiräte, Bonn 2017, S. 37 und Geschäftsordnung des Gestaltungsrats der Landeshauptstadt Potsdam vom 02.11.2016).

Auch die Verbindlichkeit der Entscheidungen der Gestaltungsbeiräte, die oft für Diskussionen sorgt und durch öffentlichere Verfahren auch nicht automatisch gerechtfertigt wäre, sollte grundsätzlich überdacht werden. Denn momentan existieren zwei Realitäten: Zum einen Kommissionen wie die in Bern oder Luzern, die nur Empfehlungen gegenüber der Baubewilligungsbehörde aussprechen können, und zum anderen beispielsweise die Basler Stadtbildkommission, der alle Projekte vorgelegt werden müssen und die verbindliche Entscheidungen fällen darf. Diese Verbindlichkeit scheint auf den ersten Blick dem Stadtbild dienlicher. Auf den zweiten Blick jedoch könnte einerseits die Sicherheit, sich – abgesehen von Rechtsmittelverfahren – nicht rechtfertigen und überzeugen zu müssen, zu einer gewissen Bequemlichkeit führen. Andererseits offenbart sich ein Konflikt mit vielen weiteren Normen und Vorschriften. Diese erschweren die Arbeit der Architekten heute oft und müssen bei verbindlichen Entscheidungen zwangsläufig in die Überlegungen mit einbezogen werden, um das Entstehen rechtlich unlösbarer Konflikte zu verhindern. Aufgrund dieser Interessenabwägungen kann die Kommission dann nicht mehr so radikal im Auftrag des Stadtbilds urteilen, wie es ihr Name suggeriert. Die Kommissionen hingegen, die nur Empfehlungen abgeben, müssen sich diesem Problem im Prinzip nicht stellen, da es schlussendlich Aufgabe der Bewilligungsbehörde ist, einzelne Aspekte gegeneinander abzuwägen. Dies gelingt in der Praxis jedoch bei weitem nicht immer, was auch diese Kommissionen zur Berücksichtigung aller Aspekte zwingt.

Gestaltungsbeiräte hätten also das Potential, wesentlich kritischer zu urteilen und die ihnen vorgelegten Projekte noch mehr zu schärfen. Dieses Potential können sie aufgrund mangelnder zur Diskussion stehender Gegenpositionen meist jedoch kaum ausleben. Sie fungieren nicht als ein Pol von vielen in einem grossen Spannungsfeld, sondern nehmen viel eher eine vermittelnde Funktion ein. Der kritische Diskurs, beispielsweise mit den Projektverfassern, bleibt aus. Damit stehen gerade heute Name und Aufgabe in einem drastischen Gegensatz. Es kommt unweigerlich die Frage auf, ob Gestaltungsbeiräte der ihnen ursprünglich zugrundeliegenden Idee wirklich gerecht werden können. Die Frage, die sich dann aber noch viel deutlicher stellt, ist jene, ob es nicht sogar differenziertere Kommissionen für unterschiedliche baubewilligungsrelevante Fragen geben sollte. Ob nicht Grenzwerte durch Richtwerte ersetzt werden sollten. Und ob nicht Probleme des Energie, Lärm- und Umweltschutzes in einem abgesteckten Rahmen ebenfalls diskursiv gelöst und die entsprechenden Positionen durch Personen vertreten statt durch Paragrafen festgelegt werden sollten. Denn ist nicht alles eine Frage der Relation?



Die Arbeit entstand im Seminar «Recht und Stadtraum» von Oliver Streiff.

Oliver Streiff
Architekt und Jurist
Dozent an der ETH Zürich

Oliver Streiff plädiert für eine produktives Zusammenspiel von Jurisprudenz und Architektur. Seine Ideen trägt er auch in die Hochschulen, die er als Laboratorium für raumplanerische Innovationen nutzt.

Raum: Ordnung?

Im Slogan «Baugesetze formen» treffen zwei Sphären aufeinander, die im Allgemeinen wenig gemeinsam haben. «Baugesetze» werden in wiederkehrenden Prozessen der Rechtsproduktion formuliert, angewendet, möglicherweise rechtswissenschaftlich untersucht oder in gesellschaftlichen Gefässen diskutiert. Das Verb «formen» dagegen weist auf ein im Slogan ausgespartes Objekt hin: den Stadtraum. Stadtraum wird im Zusammenspiel vieler Disziplinen produziert, in entscheidendem Mass involviert sind die Architektinnen und Architekten. Ich lese die Fügung im Slogan als Aufforderung an die jeweiligen Akteure, den gedanklichen Pfad einer einseitigen Beziehung von Ursache und Wirkung – Baugesetze formen den Stadtraum – zu verlassen. An seine Stelle soll das Bild der wechselseitigen Beziehung, der Korrelation zwischen Rechtsproduktion und Raumproduktion treten: Juristen, nehmt euch des Raums an – Architekten, nehmt euch der Norm an!

Ein Ort, wo dieser Imperativ Widerhall finden kann, ist die Hochschule. Es gilt, an den Hochschulen Netzwerke und Gefässe aufzubauen und zu pflegen, die nicht etablierten Disziplinen, sondern dem hier relevanten Problem verpflichtet sind, nämlich dem Zusammenspiel zwischen raumwirksamen Normen und der Gestalt des architektonischen Raums. Die Schwerpunkte können dabei in unterschiedlichen Bereichen liegen. Ich denke an das weite Feld zwischen empirischem Baurecht und regelbasiertem Entwurf, zwischen der Baurechtsfabrik im Sinne Bruno Latours und den Musterbüchern Asher Benjamins, aber auch an die Normativität von Bautechnologie an sich. Ausgehend von Seminaren, Workshops, Semester- oder Abschlussarbeiten können Studierende eine problemorientierte Herangehensweise erlernen, kritische Standpunkte entwickeln (siehe den Beitrag der Studenten Leon Beck, Michèle Favre und Patricia Kneubühler zu Stadtbildkommissionen) oder das Zusammenspiel im Idealfall sogar forschend untersuchen. Was wir dazu benötigen, sind gemeinsam getragene, integrativ wirkende Leitbegriffe. Eine solche Funktion kann beispielsweise der in unterschiedlichen Literatursträngen auftretende Begriff «lawscapes» übernehmen.

Ich plädiere dafür, den Slogan «Baugesetze formen» in einen breiten Kontext einzubetten. Es sind nicht nur Ästhetikparagraphen und Zonenvorschriften, die in unseren Stadträumen wirken. Genauso relevant sind etwa die Körnung und Schichtung von Grundeigentum, die Zugänglichkeit von Strassen, Plätzen und Räumen, die umweltrechtlichen Vorschriften oder die Vorgaben zur zulässigen Transformationsgeschwindigkeit der Stadt. Damit stellen sich ganz unterschiedliche Fragen nach dem Verhältnis zwischen Ordnung und Unordnung, zwischen Regulierung, Selbstregulierung und Deregulierung. Mit den unterschiedlichen Fragen können ebenso unterschiedliche Lösungsansätze einhergehen: von der Überarbeitung materieller Normen über die Prozeduralisierung bis hin zu organisationsrechtlichen Massnahmen kommen unterschiedliche Ansätze in Frage. Gerade die Möglichkeiten des Organisations- und Verfahrensrechts dürfen bei abnehmendem gesellschaftlichem Konsens darüber, was die Qualität des architektonischen Raums ausmacht, nicht unterschätzt werden. Am Beispiel: Ebenso relevant wie das Paradigma der Einordnung ist die Frage, wer, wie und in welchen Abläufen über die Einordnung debattiert und entscheidet.

Man braucht sich keine Illusionen zu machen: Die Rechtsproduktion wird im Allgemeinen von ganz andersartigen Akteuren geprägt als die Raumproduktion. Auf der einen Seite werden Normen und damit auch Ordnung, Bewahrung und Konformität hochgehalten und durch die inhärente Nähe zur Macht gewichtig. Auf der anderen Seite stehen häufig der Wunsch nach Autonomie, die Vorstellung von Progression und das Streben nach Nonkonformismus. Diese Divergenzen zeigen sich schon auf der Ebene der Begriffe: Der anonyme «Gesetzgeber» und der individuelle «Entwurfsarchitekt» sprechen nicht dieselbe Sprache. Nur: Schrecken wir vor diesen Sprachproblemen zurück? Oder nehmen wir sie zum Anlass für produktive Missverständnisse und eine gemeinsame, von akademischen Strukturen getragene Wissensproduktion?

Christoph Kramer
Architekt und Autor
www.textpitch.ch

«Die Gesetze haben den Zweck, dass Streitereien zwischen Nachbarn nicht mit Heckenscheren ausgetragen werden.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert?

Generell gleicht die Arbeit mit Baurechtsartikeln dem Lösen eines Kreuzworträtsels. Es ist eine Fingerübung, für deren Kenner das Lösungswort und die Teilnahme an einer Kaffeemaschinenverlosung lockt. Der Schlauste kennt alle «Lausbubentrickli». Das ist ein netter Zeitvertreib, doch den Beruf des Architekten wählen die wenigsten wegen ihrer Sudokuleidenschaft. Phasenweise fühlt es sich so an, als verbringe man mehr Zeit auf der Suche nach rechtlichen Winkelzügen, als für die Formulierung der architektonischen Gestalt.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Den Baugesetzen mangelt es vor allem anderen am Spielraum für das architektonische Gestalten. Letzteres ist nur dann in einem ausreichenden Masse möglich, wenn man mit Arealüberbauungen oder Gestaltungsplänen von der Bau- und Zonenordnung abweichen darf. Wer für sein Projekt aber nicht gerade 6000 Quadratmeter Land zugetragen bekommt, hat die Lösung für gute Architektur schnell gefunden: Der Bauherr möge doch nicht so unverschämt geldgierig sein!

Allerdings ist es zu kurz gegriffen, den Baulöwen die ganze Schuld zuzuschieben. Schliesslich müssen die Pensionskassen mit ihren grossen Immobilienbeständen unsere Rentengelder vermehren und Baugenossenschaften können ihre tiefen Mietpreise nur dann realisieren, wenn die Landkosten auf ein Maximum an Wohnungen abgewälzt werden kann.

Daher wird, mit Ausnahme einiger weniger Areale, nicht nach architektonischen, sondern nach baurechtlichen Massstäben gebaut. Der wirtschaftliche Druck presst die baurechtlichen Gussformen mit Gebäudevolumen aus und erzeugt dabei die standardisierten Kisten mit Attikageschoss und Drittelsregelung.

Der Ausweg aus der Abhängigkeit zwischen Wirtschaftlichkeit und Baurecht führt nicht über den Verzicht auf Rendite, sondern über mehr Spielraum im Baugesetz. Beispielsweise lässt sich eine Mantellinie mit einer Ausnützungsziffer kombinieren. Der Trick liegt nun darin, den Mantel grösser zu gestalten als die Ausnützung, sodass dem Entwerfer daraus genügend Bewegungsfreiheiten erwachsen.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Baugesetzte gewährleisten ein Mindestmass an Rechtssicherheit, stellen wohnhygienisches Bauen sicher und sorgen für Gleichbehandlung. Die Gesetze haben den Zweck, dass Streitereien zwischen Nachbarn nicht mit Heckenscheren ausgetragen werden.

Qualität über Gesetze zu fordern ist ein aussichtsloses Unterfangen, gerade dann, wenn noch völlig unklar ist, ob und wie sich Qualität überhaupt bemessen lässt. Natürlich hat jeder eine persönliche Vorstellung darüber, aber wer formuliert diese Vorstellung für die Gesellschaft? Und in welchen Abständen werden diese Massstäbe revidiert?

Dies ist der Grund, warum die Beurteilung von Qualität an Fachgremien delegiert wird. Eine Gruppe von Architekten wird Qualität wohl erkennen, wenn sie sie sieht. Das man diese Logik nicht zwingend teilen muss, zeigt sich immer mal wieder, wenn Siegerprojekte von Wettbewerben vor dem Volk oder dem Bundesgericht scheitern (siehe >Projekt Ringling). Die Binsenweisheit «Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters» kann eben für oder gegen ein Projekt verwendet werden. (Böse Zungen behaupten gar, die Schönheit liege nicht im Auge des Betrachters, sondern im Plädoyer des Rechtsanwaltes.)

Wer nun tatsächlich an Qualität interessiert ist, der kann sich nicht einzig auf das Zusammenstellen einer Expertengruppe beschränken. Für ein qualitativ hochstehendes Resultat braucht es einen qualitätsvollen Prozess, der transparent und nachvollziehbar ist. Es braucht schon in der Aufgabenstellung eine klar definierte, gewichtete Kriterienliste, nach der beurteilt wird. Und es braucht eben auch klare Leitlinien, von denen solche Kriterien abgeleitet werden können (sodass sich auch das Rekursgericht darauf abstützen kann). Ohne demokratisch legitimierte, gestalterische, typologische und volumetrische Definitionen geht es eben nicht. Wer sich darum foutiert, der gestalterischen Qualität ein Fundament zu geben, soll sich nicht wundern, wenn ein chaotisches Flickwerk entsteht.

Am meisten Qualität liesse sich aber erzeugen, wenn sich die Behörden weniger um die Gestaltung der einzelnen Bauten, als um jene der Stadt selbst kümmern würden. Was bringt das Aneinanderreihen von wunderbarer Architekturen, die weder typologisch, noch formal zusammenpassen? Und wer darüber hinaus dann doch noch die Architektur fördern möchte, der sollte versucht sein, sich nicht nur auf einzelne Bauten oder Areale zu beschränken, sondern den gestalterischen Anspruch der grossen Massen anzuheben. Vielleicht lässt sich ja dereinst ein Teil des Mehrwertausgleiches im Austausch für gute Architektur zurückerstatten.

Stefan Kurath
Architekt, Urbanist, Professor am Institut Urban Landscape ZHAW und eigenes Büro in Zürich

«Formen Baugesetze? Dieser Frage spürt Stefan Kurath in seinem kurzen Essay nach und kommt zum Schluss, dass eine grosse Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit besteht.»

Formen Baugesetze?

Die letzten 100 Jahre der Ideengeschichte der Raumplanung fassen eine unglaubliche Vielfalt an Idealen, Zielen, Wünschen und Visionen einer erwünschten Entwicklung zusammen. Man kann also nicht sagen, dass es an Ideen mangelt, wie die Schweiz in Zukunft aussehen könnte.

Kennt man jedoch die Ziele und Vorstellungen der Raumplanung, wirkt ein Spaziergang durch die heutigen Stadtlandschaften «da draussen» ernüchternd. Es besteht offenbar eine grosse Diskrepanz zwischen Planervorstellungen und Raumwirklichkeit. Baugesetze formen. Klar. Die Frage ist aber wie und was genau? Darüber wissen wir zu wenig. Aus diesem Grund beschäftige ich mich als Architekt und Urbanist in meiner Forschung unter anderem seit mehreren Jahren mit den Grenzen und Chancen der Planung im Spiegel der städtebaulichen Praxis.

Von welcher Wirkung geht die Raumplanung aus?

Sehr verkürzt gesagt geht die Raumplanung von einer Ursache-Wirkung-Relation aus. Baugesetz und Zonenordnung setzen eine Entwicklung voraus, die an und für sich hehren Vorstellungen geordneter Entwicklung und guter Architektur unterliegen. Deren Verfasser gehen davon aus, dass dem Baugesetz und der Zonenordnung und damit ihren Vorstellungen Folge geleistet wird. Dieser Voraussetzungsreichtum wurde nicht nur durch das Gott-Vater-Modell der Planung geprägt, dem sich insbesondere Architektinnen und Architekten verschrieben haben. Auch das Governance-Modell der Planung, welches von Soziologen, Geografen oder Ökonomen zur Steuerung der Raumentwicklung ausgedacht worden ist, geht davon aus, dass ihren Anreizsystemen und Steuerungsversuchen Folge geleistet wird. Sie delegieren damit den Transport der Ziele und Vorstellungen in die Raumwirklichkeit an ihre Planwelten und Gesetzestexte, Steuermechanismen, politischen Organen und Verwaltungen.

Wie wirkt die Planung?

Die empirische Untersuchung der Entstehungsgeschichte von Schweizer Stadtlandschaften zeigt auf, dass die Stadtlandschaften «da draussen» Resultat gesellschaftlicher Aushandlungsprozessen sind. Hier treffen unterschiedlichste auch sich widersprechende Interessen aufeinander. Die verschiedenen Akteure bilden unterschiedlichste, sich stetig neu konstituierende Allianzen, mit dem Ziel die Realisierungschancen eigener Absichten zu verbessern. Dies führt auch zu unheiligen Allianzen, die das Ziel verfolgen, einschränkende Bestimmungen wie beispielsweise die der Nachhaltigkeit verpflichteten raumplanerischen, städtebaulichen, architektonischen und gestalterischen Vorgaben zu umgehen – ohne dass sich die meisten der involvierten Akteure der Auswirkungen der eigenen Entscheidungsprozesse auf den Raum bewusst wären.

Das heisst, die Dynamik gesellschaftlicher Aushandlungsprozesse vermag raumplanerische Ziele bis zur Unkenntlichkeit zu unterspülen – eben auch trotz oder vielmehr aufgrund des Baugesetzes.

Wie wirken sich diese Allianzbildungsprozesse bei einer Entwicklung nach innen aus?

In den letzten Jahren hat die Entwicklung vorwiegend auf den grünen Wiesen stattgefunden. Hier sind die Allianzen so gebildet worden, dass das meiste realisiert werden konnte, da Opposition zumeist gering und die Sucht nach guten Steuerzahlern gross war. Beim Bauen im Bestand zeigt sich, dass sich nun auch Nachbarschaften formieren und Allianzen bilden mit dem Ziel bauliche Entwicklung zu verhindern. Dies führt zu einer Blockade der Entwicklung nach innen. Es gibt also allgemein dringenden Handlungsbedarf, sich den neuen Herausforderungen in Architektur, Städtebau und Raumplanung zu stellen und Misskonzeptionen der Planung anzugehen.

Was sind die grössten Baustellen bei der Innenentwicklung im Bezug zum Baugesetz?

Fünf Punkte stehen meiner Meinung nach im Vordergrund:

1. Die heutige Baugesetzgebung baut nach wie vor auf planerischen Grundsätzen auf, die aus einer Zeit stammen, in der mit städtebaulichen Massnahmen Brandkatastrophen und Epidemien bekämpft worden sind: Grenzabstände zur Brandbekämpfung, Nutzungstrennung zur Reduktion von Emissionen wie Abgase oder Lärm, hoher Freiflächenanteil für Licht, Luft und Sonne. Die Ursprungsprobleme sind heute grossmehrheitlich beseitigt. Nur – die Massnahmen haben neue Probleme hervorgebracht. Das Baugesetz muss nun diese Probleme angehen. Universell geltende Vorgaben wie Grenzabstände, Nutzungstrennung oder Dichtevorgaben nach Giesskannenprinzip sind grundsätzlich zu hinterfragen. Lokalspezifische Eigenarten und Qualifizierungsversuche müssen in den Vordergrund rücken. Dazu braucht es Rahmenbedingungen und Handlungsspielraum, siehe Monte Carasso oder Vrin.

2. Das Gesuch um eine Baubewilligung kommt in einem Moment, in dem Projekte inhaltlich bestimmt und Entscheide gefällt sind sowie viel Planungszeit bereits aufgewendet worden ist. Zu diesem Zeitpunkt noch massgebliche Veränderungen zu fordern, ist nur mit viel Aufwand und Insistieren möglich. Im Sinne einer produktiven Allianzbildung müsste insbesondere an neuralgischen Orten bereits vor Projektbeginn ein Austausch mit allen betroffenen Akteuren stattfinden, also zwischen Bauherrschaften, Investoren, Verwaltungen, Nachbarn, etc… Wenn Ziele und Bedenken früh auf dem Tisch und verbindlich geklärt sind, kann man beim Projektieren besser darauf reagieren. Was auf den ersten Blick als Einschränkung betrachtet wird, hilft Realisierungschancen grundlegend zu verbessern, wie unter anderem die Entstehungsgeschichte rund um das heutige Kultur- und Kongresszentrum Luzern beweist.

3. Die Raumplanung versucht flächendeckend in die Raumentwicklung einzugreifen. Wer jedoch flächendeckend über Dichten, Grenzabstände, Dachformen, Dachfensterarten, Gebäudevor- und -rücksprünge etc. Vorgaben macht, muss diese auch kontrollieren. Dabei werden zur rechnerischen Kontrolle von Nebensächlichkeiten wie Gebäudelängen, Dachgauben in Einfamilienhaussiedlungen wertvolle Ressourcen verwendet, die für die Entwicklung und Qualifizierung stadträumlich zentraler Orte fehlen.

4. Der öffentliche Raum ist in der Raumplanung der letzten 100 Jahre vollkommen vergessen gegangen. Dieser ist jedoch für die gesellschaftliche Kohäsion und Integration von Menschen in die Gesellschaft von zentraler Bedeutung. In Zukunft muss also an der Idee und Umsetzung des öffentlichen Raumes gearbeitet werden, wie es beispielsweise in Lausanne Ouest gemacht wird. Dies meint nicht die blosse Erneuerung bestehender Dorfplätze oder innerstädtischer Alleen sondern ebenfalls bewusste Setzungen öffentlicher Institutionen und Anlagen, Integration von Freizeit- und Naherholungsräumen – insbesondere deren Erschliessung für den Langsamverkehr – sowie die Verbesserung ihrer Auffindbarkeit und Gestaltung. Der Verknüpfung von Erdgeschoss und Stadtraum sowie deren Nutzung und Gestaltung ist Bedeutung zuzumessen – mit dem Ziel lebenswerte Stadträume zu schaffen. Die Mehrwertabschöpfung muss hier Wirkung entfalten.

5. Die Auseinandersetzung mit der Entstehungsgeschichte der Raumwirklichkeit hat gezeigt, dass das Delegieren an Planungsinstrumente zumeist nicht beabsichtigte Folgen nach sich zieht. Zu grosse Einzonungen verunmöglichen eine Lenkung der Raumentwicklung, Sonder- und Ausnahmebewilligungen unterspülen planerische Ziele, etc. Es ist dringend notwendig, dass sich Architektinnen und Architekten wie alle anderen Fachleute, die sich als Advokaten des Raumes betrachten und sich (wie im Falle von Riom-Origen, Versam oder Vri) proaktiv in die gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse einbringen, Mehrwerte von Architektur, Landschaftsarchitektur und Städtebau diplomatisch vermitteln und Aufklärung betreiben, mit dem Ziel für ein besseres Verständnis für Baukultur und der Umsetzung städtebaulicher Anliegen zu sorgen. Es braucht die politische Architektin, den politischen Architekten!

Boris Szélpal
Prof. Dr., Dipl. Architekt MAA SIA MREM
Kontextplan AG und Berner Fachhochschule BFH

«Leider haben sich die Architektinnen in den letzten Jahren darauf beschränkt, nur Antworten zu liefern und keine fachlichen Fragestellungen zu kreieren oder dazu in einen Diskurs zu treten.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert?

Über den Ästhetikartikel im Baureglement einer Gemeinde: Eine Geographin, ein Bäcker und ein Garagist fragten sich in der Baukommissionssitzung, wie dieser Artikel nun praktisch anzuwenden sei. Meine Antwort: «Wollen wir nicht lieber über Landkarten, Brot oder Motoren sprechen?» Wir haben dann eine nicht ständige Gestaltungskommission als Beratergremium eingerichtet. Gemeinsam geht es einfach besser.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Gar nicht! Architektinnen besitzen immer noch die Fähigkeit, die Problemstellungen der Gesellschaft in architektonische Lösungen zu transformieren, egal wie die Rahmenbedingungen aussehen. Architektinnen sind fähig, auf komplexe bauliche Fragestellungen einfache Antworten zu liefern. Leider haben sich die Architektinnen in den letzten Jahren darauf beschränkt, nur Antworten zu liefern und keine fachlichen Fragestellungen zu kreieren oder dazu in einen Diskurs zu treten. Sehr wahrscheinlich würden dann die Baugesetze auch anders aussehen.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Baugesetze sind für Laien und Experten – dazu zähle ich die Architekten – gedacht. Es geht aus meiner Sicht darum, GEMEINSAM herauszufinden was für den jeweiligen Ort (Quartier, Gemeinde, Stadt, Landschaft etc.) wichtig ist. Diese Wichtigkeiten oder Prioritäten sollen laienverständlich beschrieben, in messbare Baugesetzartikel und durch den Laien bewertbare Qualitäten des Ortes transformiert werden. Es muss möglich sein auf Augenhöhe zu diskutieren, Klarheit für den Laien zu schaffen und Spielraum für den Experten zu lassen. Das Wettbewerbswesen zeigt uns ja, dass diese Kombination (Fach- und Sachgremium), dank unserer direkt demokratischen Kultur in der Schweiz möglich ist! Wir schätzen es angehört zu werden, können dann aber auch Mehrheitsabstimmungen akzeptieren. Qualitätssicherung in der Architektur ist ein Gemeinschaftswerk oder ein Gesellschaftswerk!

François Valenta
Architekt

«Baugesetze können die Kreativität befruchten: Sie können zu Lösungen zwingen, die man als Architekt gar nicht suchte, die aber dennoch eine Schönheit besitzen.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert?

Schon seit längerem habe ich mich nicht mehr über einen Baurechtsartikel echauffiert. Die Baugesetzgebung formt nämlich eine Welt, in der man lernt, sich zu bewegen – oder halt eben nicht. Und wenn nicht, dann schmerzt es. Ich habe mich mit den Gegebenheiten wohl langsam abgefunden, so wie mit den Tomaten, die schon lange keinen Geschmack mehr haben… Das Baurecht per se ist dabei aber nur halb so schlimm. Die Praxis kann viel einschränkender sein! So durfte beispielsweise an einer Fassade kein Holz verwendet werden, weil es an einem anderen Gebäude kurz zuvor verboten wurde. Das bedeutet, dass es Verbote gibt, die nicht einmal in einem offiziellen Baugesetz stehen.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Baugesetze sind dazu da, um das bereits Vorhandene zu regeln, damit Streitfälle in Zukunft vermieden werden können. Ein Gesetz über architektonische Lösungen zu erlassen, die es noch gar nicht gibt, das geht wohl gar nicht. Baugesetze können die Kreativität aber auch befruchten: Sie können zu Lösungen zwingen, die man als Architekt gar nicht suchte, die aber dennoch eine Schönheit besitzen.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Bauliche Qualität wird meiner Meinung nach in erster Linie durch den Bauherren festgelegt, explizit oder implizit. Er kann über alles entscheiden, denn er ist schlussendlich derjenige, der bezahlt. Leider werden Bauherren aber aufgrund des ökonomischen Drucks dazu gezwungen, markttaugliche und rentable Massenware zu realisieren. Was dabei rauskommt, ist meist banal, normal und ziemlich öde.

Joris Van Wezemael
Wirtschaftsgeograf, Raumentwickler, Architektursoziologe, Geschäftsführer des SIA

«Ich glaube nicht, dass ein einfaches Pflaster, das man auf die heutige Gesetzgebung klebt, im Stande sein wird, die aktuellen Anforderungen zu meistern. Wir brauchen etwas viel Radikaleres.»

Wo liegen die Probleme der Raumplanung?

Wir schleppen in den Instrumenten, die wir verwenden, etwas völlig anderes mit, als das was wir mit diesen Instrumenten erzielen möchten. Viele Juristen meinen, man könne mit den heutigen rechtlichen Mittel alles realisieren, es werde nur nicht getan. Die Leute würden die Instrumentarien nicht verstehen, die Gemeinden ihre Hausaufgaben nicht machen und so weiter… Die Rechtsprechung sei aber prinzipiell kompetent genug, um die gegenwärtigen Probleme lösen zu können. Mag sein. Was mich interessiert, ist nicht die Juristerei, sondern die Praxis. Und wenn in der Praxis die gewünschte Wirkung ausbleibt, was sie offensichtlich meistenorts tut, dann kann das Mittel noch so korrekt sein, es funktioniert halt einfach nicht.

Liegt da ein Vollzugsdefizit vor? Tun sich die Gemeinden schwer mit der Umsetzung der möglichen Wirkkraft der Gesetzgebung?

Sicher. Ein ganz generelles Problem der Ortsplanung liegt in der Stunde Null. Da muss nämlich Geld für Investitionen gesprochen werden, die erst Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später einen Ertrag abliefern wird. Wohl auch deshalb schrecken viele Gemeinden davor zurück, ihre Hausaufgaben zu machen. Man stelle sich vor, ein engagierter Gemeindepräsident muss vor seine Exekutive oder gar vor die Gemeindeversammlung treten und erklären: «Es gibt Eurer Meinung nach weder eine Not noch eine Dringlichkeit, aber ich brauche zig Tausende von Franken, um eine Machbarkeitsstudie ausarbeiten zu lassen.» Dann denken doch alle anderen: «Müssen wir bei dem Fieber messen?»

Der wichtigste und auch interessanteste Schritt aber ist genau diese Stunde Null, nämlich die Ausarbeitung einer sauberen Analyse der Probleme und das Aufzeigen von möglichen Lösungen. Das scheitert aber nicht zuletzt an den fehlenden finanziellen Mitteln, die man dafür haben müsste.

Als Lösung des Problems plädiere ich für eine Art Fonds de roulement. Den gibt es in der Wohnbauförderung schon heute. So erhalten beispielsweise Genossenschaften zum Bau ihrer Siedlungen günstiges Geld, das sie später, wenn sie Erträge generieren, zurückzahlen. Der Fonds wird deshalb ständig wieder aufgefüllt und besitzt immer Kapital, um weitere Projekte zu fördern. Eine solche Art Fonds de roulement sollte man auch für die Raumentwicklung äufnen, um ortsplanerische Projekte überhaupt lancieren zu können.

Wie muss die Verdichtung nach Innen vollzogen werden?

Das Zürcher Amt für Raumentwicklung hat 2014 eine Studie herausgegeben, welche die Akzeptanz verschiedener Nachverdichtungen aufzeigt. Das Ergebnis ist rasch zusammengefasst und leuchtet sofort ein: Man muss bestehende Qualitäten schützen, bestehende Defizite beheben und Mehrwerte generieren. Drei Punkte, eigentlich ganz simpel.

Wenn man dies aber ernst nimmt und zu Ende denkt, dann spricht man in erster Linie vom öffentlichen Raum und nicht von einzelnen Bauten. In erster Linie geht es um den Strassenraum, denn dieser fasst unsere Gebäude und Stadträume zusammen. Mit dem Zonenplan aber kann der Strassenraum als solcher oft gar nicht gedacht werden.

Man müsste sich also überlegen, mit welchen Instrumenten man den öffentlichen Raum angehen könnte. Das wäre aber etwas fundamental anderes als die heutige Zonenplanung. Dann würde man auch erkennen, dass Verhältnisziffern vielleicht einmal Probleme gelöst haben, heute aber selbst ein Problem sind. Wir müssen die Planung grundlegend anders und neu denken.

Wenn die Zonenpläne nicht ausreichen, gibt es doch noch immer die Sondernutzungsplanung.

Das stimmt. Die von mir gemachten Erfahrungen mit Sondernutzungsplänen sind aber zwiespältig. Zum einen erlauben sie nämlich bessere Projekte und sind deshalb auch bei Investoren beliebt. Wenn der Bauherr weiss, wie die Fristen sind, welche Ausnützung erzielt werden kann, eine Planungssicherheit gegeben ist, und vor allem auch welche Qualitäten eingefordert werden, dann ist das wunderbar. Dann kann jeder in Qualität investieren und weiss, dass der Nachbar dies ebenfalls tun wird, tun muss. Heute sind wir aber schon so weit reflexartig an einen Gestaltungsplan zu denken, wenn Qualität gewünscht wird. Die Juristen aber wissen, dass eine Sondernutzung ein Sonderfall ist, und nicht zur Regel respektive einer Art eingeschmuggelte Regelbauweise werden darf. Das Bundesgericht stützt diese Einschätzung.

Zudem muss man leider sagen, dass der Weg über Sondernutzugspläne quasi-automatisch zu Planungsinseln führt. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprojekts «Neue urbane Qualitäten» (NFP65) habe ich im akademischen Rahmen untersucht, wie Städtebau in der Praxis wirkt. Das Resultat der Studie: Mit Sondernutzungsplänen kommt es zwangsläufig zu Planungsinseln. Dort, wo die Planungsbedingungen gut sind – grössere Areale mit bewältigbaren Eigentümerstrukturen –, sind Entwicklungen homogener und oft auch von hoher Qualität. Letztendlich aber dennoch nichts anderes als homogene Inseln in einem viel heterogeneren Umfeld.

Brauchen wir ein neues Instrumentarium?

Ja und nein. Ich glaube nicht, dass ein einfaches Pflaster, das man auf die heutige Gesetzgebung klebt, im Stande sein wird, die aktuellen Anforderungen zu meistern. Wir brauchen etwas viel Radikaleres. Wir brauchen eine neue Idee davon, wie man eine zeitgemässe Planung überhaupt denken kann. Sie muss zwangsläufig vom öffentlichen Raum ausgehen, vom Allgemeinen ins Private, von der Stadt zum Haus. Wir brauchen eine neue Planungskultur, die aufhört, primär in Nutzungstrennungen zu denken; die war 1890 sinnvoll, heute aber nicht mehr.

Wir brauchen zudem eine Planung, die aufhört, einen Objektfetischismus zu zelebrieren. Natürlich finde ich gute Bauten besser als schlechte, aber mit einem schlechten Gebäude kann ich mich zur Not arrangieren, mit einem schlechten Städtebau hingegen nicht. Wir planen einerseits auf der Ebene des einzelnen Objekts, und wir planen andererseits auf der Ebene der übergeordneten Raumplanung. Aber wir planen momentan leider kaum auf der Ebene, die wir auch tatsächlich wahrnehmen. Unter der mangelhaften Verschneidung von Städtebau und Raumplanung leidet die Aufenthaltsqualität, die Behaglichkeit, und ja: die Bereitschaft, Innenentwicklung im eigenen Umfeld anzunehmen.

Die Analyse ist logisch und offensichtlich. Verschiedene Disziplinen kommen zum gleichen Resultat, deine Studie ja ebenfalls. Aber massgebliche Akteure zücken mit den Schultern und finden, es sei halt einfach schwierig. Und dann wird nichts gemacht. Bevor wir also an ein neues rechtliches Instrument denken, sollten wir uns ins Bewusstsein rufen, dass wir grundlegend eine neue Planungskultur brauchen. Wir brauchen eine radikale Neuausrichtung. Dazu gehört Mut, Initiative und es braucht innovative Ansätze, die über den disziplinären Tellerrand hinausschauen.

Max Frisch und seine Mitstreiter haben in den 50er Jahren vielleicht zum letzten Mal gezeigt, wie vehement man an die Sache rangehen kann. Doch dann wurde es schnell und lange wieder ruhig. Sie waren aber auch zeitbedingt Rufer in der Wüste. Wir hingegen befinden uns heute in einer ganz anderen Situation. Alle Kraftfelder zeigen in dieselbe Richtung. Das commitment zur Innenverdichtung ist vorhanden: die Bevölkerung hat diese ausdrücklich eingefordert, die Investoren sind aufgesprungen und es gibt gute Beispiele, die mögliche Lösungswege aufzeigen. Wir haben gegenwärtig ein Momentum, um die Planung grundlegend neu aufzugleisen. Wir sollten dies in Angriff nehmen!

Martin Klopfenstein
Architekt

«So ergab ich mich in mein Schicksal und diskutierte über Kniestockhöhen, Abstände von nicht ständig bewohnten Nebengebäuden und zulässigen Neigungen für Terrainmodellierungen.»

Es kann passieren, dass man im Leben Dinge tut, die man nicht so recht kann. Zum Beispiel das Mittun in einer Kommission, die über die Anpassung eines Baureglements zu befinden hat. Der Ruf in solche Kommissionen ist eine Alterserscheinung: irgendwann kommt’s. So ergab ich mich in mein Schicksal und diskutierte über Kniestockhöhen, Abstände von nicht ständig bewohnten Nebengebäuden und zulässigen Neigungen für Terrainmodellierungen. Ein Problem dabei (nebst vielen andern Problemen) ist, dass ich die Sache mit den Baureglementen bisher nur als User kannte. Also als einer, der die Regel auslotet, austrickst oder dann, im Falle eines Verstosses, vor einer – äh – Kommission antanzen muss, um sich zu erklären.

Nun, die Zeiten ändern sich, und so geschah es, wie oben beschrieben, dass ich mich für einmal auf der anderen Seite wiederfand und mir die Frage stellte: Und jetzt? Regeln zu machen, ist etwas ganz anderes, als Regeln zu befolgen oder bestmöglich auszureizen. Dazu kommt: Für gute Architekten wäre es gut, eher wenig Regeln zu haben, und für schlechte kann es wahrscheinlich nie genug geben. Umgekehrt gesagt: Gute Architektur kann nicht herbeireglementiert und schlechte auch mit dem bestgemeinten Regelwerk kaum verhindert werden. Daher ist das Ausknobeln von Baugesetzen von vornherein ein Werk mit Frustpotenzial.

Ein Potenzial, zusätzlich genährt vom Umstand, dass die Art und Weise, Baugesetze auszuhandeln, zu formulieren und darzustellen, nicht zur Debatte stand. Das heisst: Man diskutiert am Korsett herum, aber das Korsett bleibt. Bloss, wenn ich ehrlich bin: Hätte ich denn eine Alternative zu ihm? So begnügte ich mich bald einmal mit den kleinen Erfolgen, von denen ich aber nicht einmal wusste, ob sie tatsächlich Erfolge sind, denn die Wirkung der (ein wenig) neuen baupolizeilichen Arzneien ist noch unerprobt – Nebenwirkungen nicht ausgeschlossen.

Daher das (vorläufige) Fazit zu meinem Ausflug in die Baugesetzentwurfsabteilung: Ja, ich habe ein wenig Baugesetze (mit)geformt. Aber es scheint, als hätten diese vor allem mich geformt. Ai, ai.

Alain Griffel
Professor der Jurisprudenz mit Schwerpunkt Raumplanungs-, Bau- und Umweltrecht an der Universität Zürich

«Letztendlich ist die Wahl des rechtlichen Instruments zweitrangig. Vielmehr muss man wissen, was man überhaupt erreichen möchte.»

Herr Griffel, wer macht überhaupt Baugesetze?

Gute Frage… In erster Linie sind das eben nicht die Fachleute, weder Architekten noch Juristen. Gesetze entstehen in den vorhandenen politischen Strukturen, letztlich in den Parlamenten. Dies kommt mal besser und mal schlechter, zunehmend aber leider sehr schlecht heraus. Ich plädiere deshalb für eine Renaissance sorgfältiger rechtlicher Analysen in der Politik. Bevor man ein neues Gesetz oder eine Gesetzesänderung formuliert, muss zwingend eine saubere Abklärung vorgenommen werden: Wo liegt das Problem? Wie, mit welchen Instrumenten und in welchem Zeitraum wollen wir es lösen? Erst dann kann ein Konzept ausgearbeitet werden, welches die Grundlage für den Gesetzestext darstellt.

Und ein solches Konzept verlangt in der Baugesetzgebung natürlich nach einem planerischen und architektonischen Fachwissen. Dieses muss vollumfänglich einfliessen. Wer, wenn nicht Fachpersonen wie Architekten, soll und kann Inputs liefern? Schlussendlich wird es meist ein Jurist sein, der das ganze rechtlich formuliert. Dies muss jedoch zwingend in engem Wechselspiel mit weiteren Fachleuten geschehen. Juristen sollten ja nicht vorgeben, wie beispielsweise ein Dach auszusehen hat. Dieses sorgfältige Ausarbeiten von Gesetzen findet heute leider praktisch nicht mehr statt. Das Gewurstel geht schon von Anfang an los. Man macht mal etwas und schaut dann, was dabei herauskommt, um es dann gegebenenfalls wieder zu ändern. Darunter leiden sowohl die Qualität als auch die Rechtssicherheit.

In Zukunft soll im Bestand gebaut werden und nicht mehr auf der grünen Wiese. Brauchen wir neue rechtliche Instrumente?

Sie haben überhöhte Erwartungen an die Wirkkräfte des Rechts. Generell gibt es die Vorstellung: Wir haben ein Problem, also machen wir eine Norm und dann ist das Problem gelöst. Aber dann passiert vielleicht gar nichts, oder das Gegenteil. Gerade in der Raumplanung ist die Steuerkraft des Rechts eine sehr beschränkte. Entweder, weil man das so will, oder weil das Recht das überhaupt nicht leisten kann. Auf jeden Quadratmeter Boden stürmen die unterschiedlichsten Interessen ein. Ein riesiges Spannungsfeld. Markkräfte und andere Faktoren können das angestrebte Resultat in weite Ferne treiben.

Vollzugsdefizite in Kanton und Gemeinden sind ein weiteres Problem. Die Vollzugsstrukturen sind häufig zu schwach und zu unprofessionell besetzt. Jedes grössere, ja mittelgrosse Bauvorhaben ist heute aus rechtlicher Sicht bereits so komplex, dass die meisten Baubehörden schlichtweg überfordert sind. Dann kann die Baubehörde entweder für teures Geld einen Experten beiziehen oder ohne Fachpersonen «herumwursteln».

Die nötige Fachkenntnis hinsichtlich der Baugesetzgebung fehlt aber auch bei den Architekten. Während meiner Zeit beim Amt für Baubewilligungen der Stadt Zürich staunte ich immer wieder, wie wenig Architekten vom Baurecht verstehen. Teilweise waren schlichtweg keinerlei baurechtliche Kenntnisse vorhanden. Da ging man mit seinen Plänen zum Kreisarchitekten und liess sich zusammenstreichen, was noch ging. Später kam man zurück und es wurde erneut zusammengestrichen. Man kann doch nicht planen, wenn man die rechtlichen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen nicht kennt.

Sind Sie also der Meinung, dass die aktuellen Instrumentarien ausreichen, um eine qualitätsvolle Verdichtung gegen innen zu erreichen – vorausgesetzt, man kennt sie und kann sie auch einsetzen?

Ich denke, dass das Zusammenspiel aus Rahmennutzungsordnung und Sondernutzungsplanung dazu ausreicht. Sie schreiben in Ihrer Publikation zu Recht, dass die Grundordnung eine gewisse Starrheit besitzt. Dafür wissen alle – Eigentümer, Bauherr, Behörde – woran sie sind. Zudem zeigen viele Beispiele auf, dass mittels der Sondernutzungsplanung gute Lösungen von hohem Niveau erzielt werden können. Dabei ist es gar nicht so entscheidend, ob es sich um private oder öffentliche Gestaltungspläne handelt. Ferner hat das Volk bei beiden ein Mitbestimmungsrecht, was ich sehr begrüsse. Gestaltungspläne müssen aber einen gewissen Spielraum offen lassen. Sie dürfen nicht so eng auf ein Projekt angepasst werden, dass keine anderen Möglichkeiten mehr möglich sind. Sie dürfen aber auch nicht so offen formuliert werden, dass schlussendlich etwas herauskommt, was man nicht wollte.

Führen Sondernutzungspläne nicht zu einem Inselurbanismus?

In der Tendenz ja. Aber das Bundesgericht hat dies vor wenigen Jahren etwas entschärft. Die Entscheide zu Rüti und Le Locle besagen, dass die Sondernutzungsplanung nicht allzu weit von der Rahmennutzungsplanung abweichen darf. Die Inseln werden also über den Zonenplan in den Kontext eingebunden.

Eine Aufzonung von beispielsweise W3 auf W4 führt aber weder automatisch zu einer höheren Qualität noch wird der tatsächliche Kontext berücksichtigt. Wieso schafft man nicht ein neues Instrument, das vom konkreten Bestand ausgeht und mit dem spezifische Ziele definiert werden können?

Ich gebe Ihnen insofern schon recht: Viele Nutzungspläne sind aus heutiger Sicht im Mittelalter stecken geblieben. Sie sind grobschlächtig und einfach. Die Siedlungsentwicklung nach innen ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Deshalb muss man von Beginn an wissen, was man will und wie man das Ziel erreichen kann. Massgeschneiderte Lösungen bezogen auf bestimmte Quartiere sind notwendig. Wenn man einfach alles über einen Kamm scheren möchte, dann ergibt dies sicherlich kein gutes Resultat.

Man kann sich durchaus die Frage stellen, inwiefern verfeinerte Instrumente integriert werden können, die sachgerechtere Lösungen erlauben. Das müsste man sich gut überlegen und kann nicht aus dem Stand beantwortet werden. Juristen wären auf planerischen, architektonischen Sachverstand angewiesen. Man müsste klären, wie weit der Spagat zwischen Sachgerechtigkeit und Einfachheit gehen kann. Wie steht es mit der Umsetzbarkeit? Wie mit der Voraussehbarkeit und der Rechtssicherheit?

Letztendlich ist die Wahl des rechtlichen Instruments aber zweitrangig. Vielmehr muss man wissen, was man überhaupt erreichen möchte. Und dazu braucht es zwingend das Fachwissen von Architekten und anderen Planern. Gegen innen verdichten und damit sogar einen Qualitätszuwachs generieren, ist eine genuin planerische Aufgabe, keine juristische.

Zudem bedarf es politischen Fingerspitzengefühls. Die Grundeigentümer und die Bevölkerung müssen ins Boot geholt werden. Es braucht Partizipation, eine offene Kommunikation und kein elitäres Gehabe. Erst wenn sich das Projekt verfestigt hat, kann eine BZO-Änderung vorgenommen werden. Vielleicht geht man dann über einen Sondernutzungsplan, vielleicht schafft man eine neue Zone mit spezifischen Ausrichtungen. Das ist gar nicht so entscheidend. Viel wichtiger ist der Prozess davor.

Peter Märkli und Elisabeth Rutz
Studio Märkli

«Wir müssen nicht ein fertiges Bild entwerfen, sondern eine Struktur, die auch den zukünftigen Generationen erlaubt, ihre Vorstellungen zu realisieren.»

Wo sehen Sie Probleme in der heutigen Baugesetzgebung und Raumplanung?

Peter Märkli: Wir haben heute so viele und drängende Fragen für die Zukunft, dass man zuallererst die Zonenpläne und Baugesetze überdenken muss. Mein grösster Vorwurf am Zonenplan ist, dass er keine Vorstellung über die Zukunft in sich trägt. Er ist einfach etwas, das im Laufe der Zeit und aus gewissen Gewohnheiten heraus entstanden ist.

Die klassische Moderne hat zwei Neuerungen in die Welt gesetzt, die zu kritisieren sind. Die erste Kritik betrifft den Siedlungsbau. Der Siedlungsbau der Moderne operierte mit Bauten, die lose im Raum stehen. Der Strassenraum als gefasster und öffentlicher Raum wurde aufgegeben. Die zweite Kritik gilt der Auffassung, dass man das Leben und das Gewerbe in verschiedene Zonen trennen müsse.

Der Zonenplan ist also zu überdenken?

PM: Gesetze müssen, wenn notwendig, auch geändert werden. Ich frage mich, warum man in einer Stadt anstelle von Zonen nicht einfach ein Regelwerk definiert, das von der Innenstadt bis zu den Stadträndern gilt. Eine Regelbauweise für eine ganze Stadt. In einem zweiten Schritt sollen spezifische Qualitäten von Quartieren und Freiräumen geschützt werden, die wir für gut befinden. Die wirtschaftlich schwächeren Stadträume und Nutzungen müssen geschützt werden. Heute betrifft dies vor allem den öffentlichen Freiraum, denn er wirft keinen Profit ab. Zudem müssen in der Gegenwart, ähnlich wie in den 1980er Jahren in Zürich der Wohnanteil gegenüber Büros geschützt wurde, die Nutzungen im Erdgeschoss mit Subventionen gestützt werden. Denn diese tragen zu einem vielfältigen und belebten Strassenraum bei. Und wenn man den Strassenraum als kollektiven Raum versteht und erhalten möchte, dann darf man dort nur Hochparterre-Wohnungen machen und keine Erdgeschosswohnungen.

Ausnahmen oder Ergänzungen zum Regelwerk können beispielsweise auch für Hochhäuser erlassen werden. Setzen sie einzelne Zeichen im städtischen Gefüge? Oder können nicht auch neue Quartiere mit Hochhäusern entstehen? In einer pluralistischen und demokratisch organisierten Gesellschaft muss das möglich sein. Denn Demokratie bedeutet, dass nicht die Mehrheit darin Platz findet, sondern gleichermassen auch relevante Minderheiten. Ich bin gegen eine pauschale Anwendung der Zwei-Stunden-Schatten-Regel, denn diese lässt kein Hochhausquartier entstehen. Die Menschen sollen selber wählen, wie sie leben möchten. In einer offenen und demokratisch organisierten Gesellschaft müssen verschiedene Lebensweisen zugelassen werden.

Zunächst also sollte eine Regelbauweise definiert werden. Dann müssen die quartierspezifischen Qualitäten respektiert werden. Erst dann kommen die einzelnen Objekte, die man schützen kann. In erster Linie geht es um den kollektiven Raum. An diesem Raum partizipieren die Bauten. Wenn wir gute und intakte Strukturen haben, können die einzelnen Gebäude auch ausgewechselt werden. Eine Struktur umzubauen ist hingegen nicht so einfach möglich.

Sie haben jetzt über die Stadt gesprochen. Wie aber ist auf dem Land oder in Agglomerationsgemeinden vorzugehen?

PM: Da sehe ich prinzipiell zwei Möglichkeiten. Zum einen kann sich eine Gemeinde zur Stadt erklären, dann gelten ähnliche Bedingungen wie eben beschrieben. Zum anderen kann sie sich aber als ländlich verstehen und sich mit einer Dorfstruktur identifizieren. Auch dann muss vom Bestand ausgegangen werden. Dies ist neben den vorhandenen Bebauungsstrukturen der Dörfer und Quartiere insbesondere die Landschaft. Die Landschaft und Topografie prägten nämlich die Bebauungsstrukturen der Dörfer. Auf sie ist besondere Rücksicht zu nehmen.

Für Glarus Nord entwarfen Sie eine neue Zonenplanung mitsamt Baureglement. Wie gingen Sie dabei vor?

PM: Auch in Glarus Nord haben wir zunächst untersucht, welche Qualitäten vorhanden sind. Die Bevölkerung teilte uns mit, dass sie ihre Landschaft schätzen, ihre Dörfer bewahren und keine Stadt werden möchten. In Glarus gibt es entlang des Tals innerhalb jeder Gemeinde historische Dorfkerne, neue Erweiterungen der Dorfkerne in der Ebene mit orthogonalen Bebauungsstrukturen und zudem die Hanglagen. Unsere Zonenplanung berücksichtigt diese Gegebenheiten der Topografie und der Bebauungsstruktur. Sie sieht deshalb eine Dorfzone, eine erweiterte Dorfzone in der Ebene und eine erweiterte Dorfzone am Hang vor. Zudem gibt es natürlich auch die Industriezone.

Elisabeth Rutz: Die drei Dorfzonen unterscheiden sich aber nicht grundlegend. In allen gilt eine Regelbauweise. Zudem sind in beiden Zonen sowohl Wohnungen wie auch Gewerbe zulässig. Sie unterscheiden sich nur hinsichtlich einzuhaltender Flächenanteile oder ob man zugunsten eines grösseren Gartens zusammenbauen darf. In der Ebene ist dies möglich, am Hang hingegen wäre es für den fliessenden Aussenraum der Topografie nachteilig. Desweiteren haben wir einzelne Pflichtbaulinien definiert, damit die Aussenräume durch Bauten definiert werden. Das Privateigentum haben wir hingegen nicht angetastet, denn das ist ja oberstes Gebot in der Schweiz. Unsere Planung basiert also auf den vorhandenen Parzellen.

PM: Wir haben der Bevölkerung erklärt, wenn sie ihre Landschaft lieben, dann müssen sie die Topografie respektieren und sie nicht mittels Terrassierungen in horizontale Ebenen überführen. Das ist sehr wichtig! Bauen am Hang ist eine Kulturleistung, die wir aber verloren haben. Auch die Baureglemente verhindern ein richtiges Bauen am Hang. Wir haben definiert, welche Flächenanteile einer Parzelle bebaut oder verändert werden dürfen, und welche wiederherzustellen sind, um die Topografie der Landschaft zu erhalten.

Dann ging es auch in Glarus Nord in erster Linie darum, den Freiraum zu stärken und zu schützen?

PM: Genau, und dazu gehört auch die Problematik, dass alle Dinge, die man auf dem eigenen Grundstück nicht sehen möchte, auf den Strassenraum gerichtet sind. Beispielsweise Müllcontainer, oder in Dorfstrassen werden Vorgärten zu Parkflächen für Autos. Dieses Verhältnis zur Strasse ist in den Städten leider nicht anders.

Das Auto ist ein Faktor, den man in der Ortsplanung zwingend berücksichtigen muss. Wir wollten mit unserer Planung mehr Wohnraum schaffen und eine einfache Garagierung anbieten, die innerhalb des Gebäudes geschehen muss. Entweder im Erdgeschoss oder in einem halbversenkten Untergeschoss. Mit letzterer Lösung würde das erste Wohngeschoss in einem Hochparterre zu liegen kommen. Unsere vorgesehene Gebäudehöhe von 10 2/3 Meter lässt in beiden Fällen drei Vollgeschosse zu.

Wir haben bestimmt, dass die unveränderbaren Flächenanteile auch für unterirdische Bauten gelten. Diese dürfen nicht an die Ränder der Parzellen reichen, wie das in vielen Gemeinden der Fall ist. Rita Illien, die Landschaftsarchitektin, mit der wir zusammenarbeiteten, setzte sich vehement dafür ein. Ansonsten haben wir in Zukunft Quartiere ohne Bäume.

Welche Regelungen haben Sie für die einzelnen Bauten definiert?

PM: Wir wollten nur wenige Regeln definieren. Primär ein Volumen, das bebaut werden darf. Die Ausnützungsziffer fällt somit weg. Der bebaubare Flächenanteil bildet zusammen mit einer Gebäudehöhe und einem darauf liegenden Dachvolumen einen Mantel aus, innerhalb dem das Gebäude erstellt werden darf. Keinerlei Angaben machten wir zu Erkern, Attikageschossen oder dergleichen. Ich kenne nämlich keine Begründung, die erklärt, weshalb ein Drittel der Fassadenlänge für einen Erker eine bessere Proportion sei als beispielsweise ein Zweitel. Alles darf gebaut werden, solange es innerhalb des definierten Volumens Platz findet. Für die Garagierung allenfalls notwendige Erweiterungen des Erdgeschosses oder kleinere Bauten dürfen ausserhalb dieses Hauptvolumens liegen.

ER: Unser Raumplaner meinte, das von uns entworfene Reglement sei extrem liberal. Dabei schützt es das Wesentliche, nämlich den Aussenraum und die Bebauungsstruktur. Unser Baureglement sollte so schlank wie möglich sein, so wenige Artikel wie möglich haben. Auf schwammige Begriffe wie «eine besonders gute Einordnung der Bauten» und dergleichen, die verschiedenartig ausgelegt werden können und deshalb keine konkrete Aussage treffen, haben wir bewusst verzichtet.

Während des Ausarbeitung des Reglements kamen Artikel hinzu, die wir nicht vorsahen. Beispielsweise jener, dass eine Baukommission die Projekte abschliessend beurteilen kann. Die Gemeinde wollte wohl eine Art Rückversicherung, denn alle hatten Angst vor dem «roten Glashaus». Dabei stellt sich natürlich sofort die Frage nach der Kompetenz des Gremiums.

Gehören Fassaden nicht auch zum Siedlungsbild und damit der Öffentlichkeit?

PM: Natürlich gehören die einzelnen Bauten und ihre Ausbildung zum Erscheinungsbild eines Orts. Die ganze Diskussion um Ortsplanung geht jedoch unter, sobald man beginnt über die Erscheinung einzelner Bauten zu sprechen. Doch wäre das sicherlich ein zusätzlicher Wunsch. Zunächst aber müssen wir uns um das Grundlegende kümmern, und das ist die Struktur des Strassen- und Freiraums, der alles zusammenhält. Erst danach kann man über Fassaden diskutieren. Heute aber ist es nahezu unmöglich die Erscheinung einzelner Bauten zu bewerten. Wir leben nun mal in einer pluralistischen Gesellschaft.

Unser bebaubares Volumen in Glarus Nord verstehen wir deshalb als Gefäss, welches die übergeordnete Struktur schützt und die individuellen Vorlieben in diese Struktur des öffentlichen Raums einbettet.

Wir wollten für Glarus Nord einen möglichst einfachen Plan entwerfen, in dem alle gegenwärtigen Teilfragen eingebunden sind, der aber zugleich auch für künftige Generationen einen Interpretationsraum offen lässt. Zu viele Regeln schwächen dies. Ein solcher Plan operiert mit einer grossen Abstraktion: Nur ein paar Linien, zwei, drei Farben, das ist alles. Gleichzeitig beinhaltet er aber die ganze Vision einer möglichen Zukunft.

ER: Der Gemeinderichtplan, den wir für die Gemeinde entworfen haben, ist ein solcher Plan. Er ist leicht verständlich, die Bewohner konnten ihn lesen und haben ihn an der Gemeindeversammlung angenommen. Er bildet alles ab – Ränder, Freiräume, Dorfkerne – und eröffnete gleichzeitig, was alles möglich ist.

PM: Wie alle Kunst muss auch die Baukunst mit Fragestellungen der Gegenwart für die Zukunft etwas schaffen; sonst handelt es sich nicht um Kunst. Wir müssen uns nur auf die wesentlichen Aspekte einigen, die wir anstreben möchten. Wir müssen nicht ein fertiges Bild entwerfen, sondern eine Struktur, die auch den zukünftigen Generationen erlaubt, ihre Vorstellungen zu realisieren. Es ist in der heutigen Gesellschaft schlicht nicht mehr möglich, eine einzige Vorstellung der Welt zu haben. In einfachen Plänen liegt alles – eine Zukunft, die man nicht abschliesst, sondern offen lässt.

Müssen sich Architekten wieder aktiv in den politischen Diskurs einbringen?

PM: Die Frage für mich als Architekt ist: Handle ich in einem politischen Akt, oder mache ich in meiner täglichen Praxis das, was ich für richtig halte, im Sinne einer beständigen Hartnäckigkeit. Ich habe mich für letzteren Weg entschieden. Jeden Entwurf verstehe ich als Ansicht vom Leben und so auch als politische Aussage im Städtebau wie auch in der Erscheinung.

Die Zeit scheint gekommen zu sein, in der hinsichtlich der Raumplanung und Baugesetzgebung etwas Neues entstehen kann. Das ist aber eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die weit über das eigentliche Metier der Architekten hinausgeht. Da wir es mit Gewohnheiten zu tun haben, brauchen wir Geduld. Die Themen müssen jetzt aber lanciert und möglichst breit und öffentlich diskutiert werden.

Hansruedi Diggelmann
Jurist, Raumplaner, Netzwerker

«Bauen ist in erster Linie eine kulturelle Aufgabe, keine rechtliche.»

Herr Diggelmann, können Baugesetze überhaupt eine gute Architektur gewährleisten?

Eigentlich nicht, aber es gibt andere Hoffnung. Ich sehe prinzipiell zwei Möglichkeiten. Erste Variante: Ein achtsamer Bauherr, der grosszügig und kompetent ist, beauftragt einen guten Architekten. In einer solchen Konstellation kann wohl selbst die schlechteste Baugesetzgebung die Welt nicht verschandeln. Der Bauherr muss aber wirklich grosszügig sein: Denn falls er einfach alles ausreizen möchte, was der Markt und die Rechtsprechung hergeben, dann muss er halt auch all die rechtlichen Unsinnigkeiten wie abstandsbedingte Vieleckgrundrisse oder abgegrabene Untergeschosse realisieren. Eine Kulmination der Scheusslichkeiten!

Sind gute Architekten also die Lösung?

Nur bedingt, denn es gibt zu wenige davon. Die guten Architekten können sich zudem konjunkturbedingt derzeit die Rosinen aus dem Kuchen picken. Sie bauen am liebsten im Rahmen von Sondernutzungsplanungen. Aber was ist mit der Massenware, die wir ebenfalls brauchen? Verdient nicht auch diese eine gute bauliche Qualität? Gerade das Alltägliche soll doch Freude machen! Und selbst wenn sich die schlechteren Architekten die Guten zum Vorbild nehmen, dann sind sie in den Schranken der Baugesetzgebung und wegen der Marktkräfte gar nicht in der Lage, gute Bauten zu errichten. Sie sind dazu verdammt, die Schranken des Baurechts bis zum Rande hin baulich abzufüllen.

Und was ist die zweite Möglichkeit, die Ihrer Meinung nach zu guter Architektur führt?

Die andere Variante ist eine achtsame Baubehörde oder ein ebensolcher Gemeindepräsident. Wenn die Gemeinde frühzeitig mit dem Bauwilligen in Kontakt tritt und zusammen diskutiert wird, was die Gemeinde als Ganzes will und was der Bauwillige als Individuum möchte, dann sollte man zusammen eine massgeschneiderte Lösung ausarbeiten dürfen, die beiden nützt. Bauen ist nun halt mal in erster Linie eine kulturelle Aufgabe, keine rechtliche. Dieses Vorgehen muss aber frühzeitig stattfinden, bevor allzu viel Planungsaufwand betrieben wurde – denn dann hat man sich bereits in eine Sackgasse manövriert, die einen Kurswechsel zum Besseren nicht mehr erlaubt.

Bauen ist also eine kulturelle und gemeinschaftliche Aufgabe.

Natürlich! Wir leben in einer Demokratie und bauen nicht für den lieben Gott oder einen absolutistischen Herrscher. Die italienischen Stadtrepubliken des ausgehenden Mittelalters haben uns gezeigt, wie man vorzugehen hat. Dort war die Baubehörde ein Zwangsamt, zu dem man verpflichtet werden konnte. Aufgabe war es, sich um das Gemeinwohl der Civitas zu kümmern. Es war ein beständiger Verbesserungsprozess der Stadtgestalt – basierend auf einer gemeinsamen Wahrnehmung der aktuellen städtebaulichen, ökonomischen und sozialen Probleme, die es zu lösen galt. Das Recht war damals nicht einfach dazu da, rein abstrakte Masse vorzugeben.

Das Wichtigste am Recht sind nämlich nicht einzelne Bestimmungen, denn die veralten schnell oder können unterschiedlich ausgelegt werden. Vielmehr besagt ein generelles Mantra der Rechtswissenschaft: «Recht entsteht durch Verfahren». In diesem Sinne müsste man beherzt neue Verfahrensbestimmungen schaffen, statt in pedantischer Akribie Masse und Baubegriffe zu harmonisieren, wie man dies nun in der Schweiz mit der IVHB versucht.

Eine massgeschneiderte Lösung hört sich aber nach einer Ausnahme oder – negativ formuliert – nach einer Extrawurst an. Wie können Ausnahmen rechtlich reglementiert werden?

Ausnahmen sollten unter gewissen Bedingungen zulässig sein. Und zwar immer dann, wenn man nach den allgemeinen Spielregeln nicht zu einem befriedigenden Resultat kommt. Natürlich müssen die wesentlichen Aspekte, bei denen es gewissermassen um Leben und Tod geht, erfüllt sein. Brandschutz und Hygienevorschriften beispielsweise. Im Übrigen aber sollten Ausnahmen zumindest diskutiert werden dürfen. Projekte, die auf Grundlage einer kritischen Gesamtwürdigung eine gute Lösung gewährleisten, und die auch keine grundlegenden Nachbarschaftsrechte verletzen oder dergleichen, sollten bewilligt werden dürfen.

In allen kantonalen Baugesetzen finden sich vergleichbare Paragrafen, nämlich die sogenannten Ästhetik-Generalklauseln. Sie erlauben, dass Projekte aufgrund einer kritischen Gesamtwürdigung nötigenfalls überarbeitet werden müssen oder von der Baubehörde sogar abgelehnt werden können, auch wenn dem Buchstaben nach alle einzelnen baugesetzlichen Bestimmungen eingehalten sind.

Ich möchte ein ergänzendes und positives Gegenstück dazu. Ein Artikel also, mit dem nicht nur ästhetisch unbefriedigende Bauten abgeschossen werden können, sondern mit dem besonders gute Architektur, die bis zu einem bestimmten Grad formell von einzelnen Bauvorschriften abweicht, ermöglicht werden kann. Gewissermassen eine «Städtebauklausel» im Dienste guter Architektur.

Wichtig ist mir, dass es um Lösungen konkreter Aufgaben geht. Wenn die Gemeinde schon die Möglichkeit hat, Baubewilligungen zu erteilen, und wenn sich Mitglieder des Gemeinderats weitgehend ehrenamtlich engagieren, dann sollten sie auch etwas zu entscheiden haben. Ich möchte keine reinen Vollzugsmaschinen mehr sehen, sondern Menschen, die sich politisch engagieren und etwas bewegen wollen – und dies auch tun dürfen!

Wer ist in diesem Falle für die Beurteilung von Architektur zuständig? Eine Baukommissionen, ein Fachkollegium, oder Verfahren wie Wettbewerbe und dergleichen?

Meiner Meinung nach sind dies prinzipiell alles gute Möglichkeiten, um Qualität zu fördern. Ich bin da anderer Meinung als ein Kollege, der vor kurzem öffentlich äusserte, dass man auf Wettbewerbe gänzlich verzichten könne, denn sie würden nicht zu besseren Lösungen führen. Fakt ist aber leider, dass Wettbewerbsaufgaben häufig nur ungenügend ausgearbeitet und somit falsch gestellt sind. In diesem Sinne sollte man Wettbewerbe lancieren, welche die richtige Fragestellung klären, also die grundlegende Problematik überhaupt ausmachen. Das Papierwerd-Areal in Zürich lässt grüssen…

Wie aber kann eine anzustrebende Zukunft realisiert werden?

Es muss eine politisch breit abgestützte Gesamtvision vorliegen. Und zwar eine, die nicht vorschreibt, wie etwas in ein paar Jahrzehnten auszusehen hat, sondern wie es aussehen könnte. Und Pläne müssen auch dann funktionieren, wenn nicht alle, sondern vorerst nur ein paar wenige mitmachen oder wenn sie nicht gänzlich realisiert werden. Eine derartige Aufwärtskompatibilität wie beim Campus Hönggerberg muss auch in «normalen» Quartieren möglich sein! Zudem muss das Verfahren transparent und verständlich sein, damit auch ein Normalsterblicher partizipieren kann. Die aktuelle Baugesetzgebung führt zu einer immer grösseren Entropie. Eigentlich müsste man für jeden neuen Artikel immer zwei alte streichen. Heute ist die Baugesetzgebung insgesamt so unverständlich und widersprüchlich, dass auch Experten nicht mehr durchblicken, dies aber nicht zugeben, weil sie daran gut und risikolos verdienen – mich eingeschlossen (lacht).

Daniel Finsler
Architekt

«Das Wettbewerbswesen ist beschränkt, da es nur Qualität innerhalb der Rahmenbedingungen fördert, diese aber nicht hinterfragt.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert? Und warum?

Die Anreize zur thermischen Optimierung von Bauten machen vielleicht ökologisch Sinn, aber sicherlich nicht in Bezug auf die Ästhetik. Meiner Meinung nach eine reine Alibi-Übung, die leider häufig zum Abbruch von Liegenschaften führt. Sinnvoller wäre es doch, Gebäude zu erhalten und länger zu nutzen.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Mit Vorgaben zu Abständen, Traufhöhen und Ausnützungsziffern wird zwar vieles gemassregelt, doch leider nicht definiert, wie eine angenehme bebaute Umwelt aussehen könnte. Der Architekt muss seine Arbeit auf die optimale Ausnützung konzentrieren – ob interessante Aussenräume entstehen, ist zweitrangig. Die Bauordnung fokussiert zu sehr auf Bauvolumen und negiert dabei die Aussenräume wie Gassen, Wege, Plätze und Gärten. Falls Aussenräume thematisiert werden, dann leider nur als «Erschliessungsfläche». Das Resultat sind Klötzchen umrahmt von Abstandsgrün.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Das Wettbewerbswesen ist beschränkt, da es nur Qualität innerhalb der Rahmenbedingungen fördert, diese aber nicht hinterfragt. Ein Blick über den Tellerrand, respektive über das Wettbewerbsprogramm täte hier gut! Ein grundlegendes Problem sehe ich im ökonomischen Druck, der vieles verunmöglicht. Ich wünsche mir von der Architektur mehr inspirierende Räume, die freudig in Besitz genommen werden, und zwar von einer Vielzahl an Nutzern. Hohe Preise schränken die soziale Bandbreite aber ein, da kann die Architektur noch so gut sein.

Martin Hofer
Architekt, Entwicklungsberater,
Ethiker, Mitgründer Wüest & Partner

«Die Nutzung sollte frei sein. Die Ausnützung sollte frei sein.»

Herr Hofer, wo sehen Sie Probleme in der Baugesetzgebung und Raumplanung?

Bereits die Zonenplanung per se halte ich für einen Unsinn. Sie basiert auf der Charta von Athen und den Idealen der Moderne. Deren Ziel war die funktionsgetrennte Stadt: Dort die qualmende Industrie, hier das Wohnen im Grünen, dazwischen Schnellstrassen. Das war gut gemeint, aber heute wollen wir das nicht mehr. Die Schweiz besitzt nahezu keine Schwerindustrie mehr, dafür Innenstädte, die nachtsüber ausgestorben sind, weil ein Grossteil der Bevölkerung in Schlafstädten wohnt. Für die heutige Gesellschaft sind die Ergebnisse der funktionsgetrennten Stadt verheerend.

Ich plädiere deshalb dafür, die Zonen aufzuheben. Die Nutzung soll frei sein. Im besten Falle entstehen multifunktionale Siedlungen und Städte, mit einer vertikalen statt horizontalen Verteilung der Nutzungen: Unten Publikumsnutzung, darüber Büros oder Gewerbe, dann Wohnungen. Das würde auf einfache Art und Weise viel mehr Leben generieren. Dass wir noch immer mit violetten, gelben oder orangen Zonen operieren müssen, ist schlichtweg überholt.

Sie wünschen sich also nutzungsdurchmischte Quartiere. Muss man die multifunktionale Nutzung gesetzlich vorschreiben, oder darf das dem Markt überlassen werden?

Es gibt ja bereits heute Mischzonen. Und ich denke durchaus, dass der Markt richtig reagieren wird. Dazu benötigt man aber flexible Strukturen, also Bauten, die Unterschiedliches zulassen. Wenn Büros nachgefragt werden und keine Wohnungen, dann sollen aus Wohnungen Büros werden können – und umgekehrt.

Die Zonenplanung gibt aber nicht nur die Nutzung vor, sondern mittels des dazugehörigen Regelwerks auch die Bebaubarkeit einer jeden Parzelle, bis hin zur Vorgabe einzelner Bauelemente, zum Beispiel das berühmt-berüchtigte Attikageschoss.

Solche komischen Ausformungen auf den Dächern versuchte man ja über die Baumassenziffer abzuschaffen. Anstelle von klar definierten Geschosstypen sieht diese vor, eine bebaubare Masse vorzuschreiben, die frei verbaut werden darf. Wichtig ist ja, wie viel Volumen in Erscheinung tritt.

Sind Baumassenziffern also die Lösung?

Ich denke nein. Vielmehr sollte es gar keine Ausnützungsziffer mehr geben. Die Nutzung sollte frei sein. Die Ausnützung sollte frei sein.

Was oder wer würde bei einem solch freien Vorgehen die Qualität und Verträglichkeit von Neubauten gewährleisten?

Eine Ethikkommission, die aus Personen gebildet werden muss, die einerseits kompetent sind, andererseits aber auch unbefangen und unbeteiligt. Vetternwirtschaft müsste natürlich unterbunden werden. Sie müssen nicht zwingend Architekten sein, vielmehr Menschen, die einen gesunden Menschenverstand besitzen und was vom Leben verstehen. Möglichst objektive und weise Richter also. Diese sollen projektbezogene und somit konkrete Baugesuche gutheissen oder ablehnen. Wenn jemand beispielsweise ein achtgeschossiges Gebäude in einem viergeschossigen Kontext errichten möchte, der erhält wohl keine Baubewilligung – ausser, das Projekt ist sehr überzeugend. Und dann zieht die Nachbarschaft vielleicht sogar mit.

Und natürlich brauchen wir auch gute Bauherren und Architekten, die über den Tellerrand schauen. Das muss schon bei der Ausbildung gefördert werden. Dazu müssen verschiedenste Akteure bereits im Studium an einen Tisch gebracht werden: Architekten, Ingenieure, aber auch Juristen, Historiker, Theoretiker und Bauhandwerker.

Und was ist mit dem Markt? Wie lassen sich bei einem solch offenen Verfahren Grundstücke bewerten und veräussern?

Dann ist halt auch der Verkauf und die Bewertung einer Liegenschaft an ein konkretes Projekt gebunden. Der Wert eines Grundstücks bestimmt sich dann zunächst nur unter Vorbehalt. Wenn ein Projekt gutgeheissen wird, dann wird sich das auch im Grundstückswert niederschlagen. Wenn keine Bewilligung erteilt wird, dann wird vielleicht nicht oder nur zu einem tieferen Preis das Grundstück erworben.

Was ich hier präsentiere, sind plakative Denkanstösse, keine ausgereiften Konzepte. Doch muss ich leider sagen, dass all die Baugesetze, die wir haben, eigentlich nichts genutzt haben. Auch seit wir die Raumplanung haben, wurde es nicht besser. Darum kann ich mit gutem Gewissen vorschlagen, dass wir alles frei lassen und dafür einen «Rat der Weisen» zur Entscheidung der Bauvorhaben bilden sollen.

Christian Salewski
Architekt und Städtebauer
Christian Salewski & Simon Kretz Architekten GmbH

«Die tatsächliche Wirkung von Bauten entsteht nicht nur durch die anrechenbaren Flächen.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert? Und warum?

Die fehlenden Baurechtsartikel zu unterirdischem Bauen führen zu schwierigen Entwicklungen in vormals durchgrünten Quartieren mit prägendem Baumbestand.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Es gibt immer spezielle Rahmenbedingungen: technische, wirtschaftliche, gesetzliche. Es gilt, innerhalb dieser eine gute Lösung zu finden.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Es braucht vor allem eine engagierte Bauherren- oder -frauenschaft. Die weiteren qualitätssichernden Verfahren sind bekannt.

Luigi Snozzi erklärte in Monte Carasso die Ausnahme zur Regel. Kennen Sie weitere vorbildhafte Vorgehen oder Projekte, denen wir nachgehen sollen?

Ein Beispiel aus den Niederlanden ist KCAPs Red Apple auf dem Wijnhaveneiland – auch dieses Projekt verstösst gegen die Regeln, die dasselbe Büro für die ganze Insel entworfen hatte.

Woran krankt Ihrer Meinung nach die schweizerische Baugesetzgebung?

Siehe oben: Die tatsächliche Wirkung von Bauten entsteht nicht nur durch die anrechenbaren Flächen: Nebenbauten, Unterflurbauten, Freiflächengestaltungen sind ebenfalls ortsbildprägend und in vielen Aspekten zu wenig reguliert.

Giulio Bettini
Architekt
PENZISBETTINI Architekten

«Baumassen und Aussenräume müssen ständig neu definiert werden.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert? Und warum?

Zuletzt aufgeregt habe ich mich über die Berechnung der Ausnützungsfläche der Stadt Zürich im Rahmen eines Wettbewerbs für ein Schulhausneubau. Warum? Siehe nächste Antwort.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Die vorgeschriebene Ausnützungsfläche, verwebt mit einer definierten Mantellinie und in zusätzlicher Verbindung mit freizuhaltenden Aussenraumflächen führen zu einem Konstrukt, das einerseits eine sogenannt verträgliche Baumasse sichern sollte, andererseits aber in argem Widerspruch zu einer verdichteten Stadt steht. Baumassen und Aussenräume müssen aber ständig neu definiert werden.

Durch die Baugesetze werden diese jedoch vorgeschrieben. Die Aufgabe von Architekten sollte es sein, die beste Lösung hinsichtlich der Höhe, Masse und Freiräume zu finden. Und dies in Einklang mit einer passenden, situativen und architektonischen Gesamtlösung, die sowohl die Architektur wie auch den Stadtraum berücksichtigt.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Vom Prozess her sind Gestaltungspläne, die Arbeit mit Begleitgremien sowie Wettbewerbsbeiträge möglich. Instanzen also, die architektonische und städtebauliche Lösungen abtastend suchen, und die den gesamten Stadtkörper entwickeln möchten. Die Nachteile solcher Verfahren sind, dass sie sehr aufwändig sind, vor allem natürlich für private Bauherren.

Verhindern Baugesetze gute Architektur – oder schlechte?

Die Antwort muss nein sein! Denn es ist die Aufgabe von Architekten, auch mit schlechten Baugesetzen gute Ergebnisse zu erzielen.

Woran krankt Ihrer Meinung nach die schweizerische Baugesetzgebung?

Das System orientiert sich an der einzelnen Parzelle und nicht an der Stadtgestalt oder Landschaft, die leider nur ungenügend berücksichtigt werden.

Caspar Schärer
Generalsekretär BSA, Journalist, Architekt

«Natürlich schränken Baugesetze die Kreativität ein – hoffentlich tun sie das!»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert? Und warum?

Ich rege mich regelmässig über die Attikaregel im Planungs- und Baugesetz des Kantons Zürich auf. Sie ist in keinster Weise städtebaulich gedacht und bewirkt sinnloseste Terrassen und kleine Wohnflächen im obersten Geschoss eines Mehrfamilienhauses. Diese Regel muss unbedingt fallen! Ersatzlos.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Natürlich schränken Baugesetze die Kreativität ein – hoffentlich tun sie das! Sie sind ein Garant für eine halbwegs zivilisierte bauliche Entwicklung. Mit einigen gewichtigen Ausnahmen natürlich!

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Qualitätssicherung muss von der Gesellschaft kommen – also entweder vom Staat oder von kollektiven Organen wie z.B. Jurys oder Gestaltungsbeiräten.

Woran krankt Ihrer Meinung nach die schweizerische Baugesetzgebung?

Sie krankt an ihrer Ausgewogenheit. Und ihrer Fixierung auf seltsame Nebenschauplätze.