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Christoph Kramer
Architekt und Autor
www.textpitch.ch

«Die Gesetze haben den Zweck, dass Streitereien zwischen Nachbarn nicht mit Heckenscheren ausgetragen werden.»

Über welchen Baurechtsartikel haben Sie sich zuletzt echauffiert?

Generell gleicht die Arbeit mit Baurechtsartikeln dem Lösen eines Kreuzworträtsels. Es ist eine Fingerübung, für deren Kenner das Lösungswort und die Teilnahme an einer Kaffeemaschinenverlosung lockt. Der Schlauste kennt alle «Lausbubentrickli». Das ist ein netter Zeitvertreib, doch den Beruf des Architekten wählen die wenigsten wegen ihrer Sudokuleidenschaft. Phasenweise fühlt es sich so an, als verbringe man mehr Zeit auf der Suche nach rechtlichen Winkelzügen, als für die Formulierung der architektonischen Gestalt.

Inwiefern schränken Baugesetze die Lösungsfindung architektonischer Projekte ein?

Den Baugesetzen mangelt es vor allem anderen am Spielraum für das architektonische Gestalten. Letzteres ist nur dann in einem ausreichenden Masse möglich, wenn man mit Arealüberbauungen oder Gestaltungsplänen von der Bau- und Zonenordnung abweichen darf. Wer für sein Projekt aber nicht gerade 6000 Quadratmeter Land zugetragen bekommt, hat die Lösung für gute Architektur schnell gefunden: Der Bauherr möge doch nicht so unverschämt geldgierig sein!

Allerdings ist es zu kurz gegriffen, den Baulöwen die ganze Schuld zuzuschieben. Schliesslich müssen die Pensionskassen mit ihren grossen Immobilienbeständen unsere Rentengelder vermehren und Baugenossenschaften können ihre tiefen Mietpreise nur dann realisieren, wenn die Landkosten auf ein Maximum an Wohnungen abgewälzt werden kann.

Daher wird, mit Ausnahme einiger weniger Areale, nicht nach architektonischen, sondern nach baurechtlichen Massstäben gebaut. Der wirtschaftliche Druck presst die baurechtlichen Gussformen mit Gebäudevolumen aus und erzeugt dabei die standardisierten Kisten mit Attikageschoss und Drittelsregelung.

Der Ausweg aus der Abhängigkeit zwischen Wirtschaftlichkeit und Baurecht führt nicht über den Verzicht auf Rendite, sondern über mehr Spielraum im Baugesetz. Beispielsweise lässt sich eine Mantellinie mit einer Ausnützungsziffer kombinieren. Der Trick liegt nun darin, den Mantel grösser zu gestalten als die Ausnützung, sodass dem Entwerfer daraus genügend Bewegungsfreiheiten erwachsen.

Wie könnte eine Qualitätssicherung in der Architektur aussehen? Durch wen oder was könnte sie gewährleistet werden?

Baugesetzte gewährleisten ein Mindestmass an Rechtssicherheit, stellen wohnhygienisches Bauen sicher und sorgen für Gleichbehandlung. Die Gesetze haben den Zweck, dass Streitereien zwischen Nachbarn nicht mit Heckenscheren ausgetragen werden.

Qualität über Gesetze zu fordern ist ein aussichtsloses Unterfangen, gerade dann, wenn noch völlig unklar ist, ob und wie sich Qualität überhaupt bemessen lässt. Natürlich hat jeder eine persönliche Vorstellung darüber, aber wer formuliert diese Vorstellung für die Gesellschaft? Und in welchen Abständen werden diese Massstäbe revidiert?

Dies ist der Grund, warum die Beurteilung von Qualität an Fachgremien delegiert wird. Eine Gruppe von Architekten wird Qualität wohl erkennen, wenn sie sie sieht. Das man diese Logik nicht zwingend teilen muss, zeigt sich immer mal wieder, wenn Siegerprojekte von Wettbewerben vor dem Volk oder dem Bundesgericht scheitern (siehe >Projekt Ringling). Die Binsenweisheit «Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters» kann eben für oder gegen ein Projekt verwendet werden. (Böse Zungen behaupten gar, die Schönheit liege nicht im Auge des Betrachters, sondern im Plädoyer des Rechtsanwaltes.)

Wer nun tatsächlich an Qualität interessiert ist, der kann sich nicht einzig auf das Zusammenstellen einer Expertengruppe beschränken. Für ein qualitativ hochstehendes Resultat braucht es einen qualitätsvollen Prozess, der transparent und nachvollziehbar ist. Es braucht schon in der Aufgabenstellung eine klar definierte, gewichtete Kriterienliste, nach der beurteilt wird. Und es braucht eben auch klare Leitlinien, von denen solche Kriterien abgeleitet werden können (sodass sich auch das Rekursgericht darauf abstützen kann). Ohne demokratisch legitimierte, gestalterische, typologische und volumetrische Definitionen geht es eben nicht. Wer sich darum foutiert, der gestalterischen Qualität ein Fundament zu geben, soll sich nicht wundern, wenn ein chaotisches Flickwerk entsteht.

Am meisten Qualität liesse sich aber erzeugen, wenn sich die Behörden weniger um die Gestaltung der einzelnen Bauten, als um jene der Stadt selbst kümmern würden. Was bringt das Aneinanderreihen von wunderbarer Architekturen, die weder typologisch, noch formal zusammenpassen? Und wer darüber hinaus dann doch noch die Architektur fördern möchte, der sollte versucht sein, sich nicht nur auf einzelne Bauten oder Areale zu beschränken, sondern den gestalterischen Anspruch der grossen Massen anzuheben. Vielleicht lässt sich ja dereinst ein Teil des Mehrwertausgleiches im Austausch für gute Architektur zurückerstatten.