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Joris Van Wezemael
Wirtschaftsgeograf, Raumentwickler, Architektursoziologe, Geschäftsführer des SIA

«Ich glaube nicht, dass ein einfaches Pflaster, das man auf die heutige Gesetzgebung klebt, im Stande sein wird, die aktuellen Anforderungen zu meistern. Wir brauchen etwas viel Radikaleres.»

Wo liegen die Probleme der Raumplanung?

Wir schleppen in den Instrumenten, die wir verwenden, etwas völlig anderes mit, als das was wir mit diesen Instrumenten erzielen möchten. Viele Juristen meinen, man könne mit den heutigen rechtlichen Mittel alles realisieren, es werde nur nicht getan. Die Leute würden die Instrumentarien nicht verstehen, die Gemeinden ihre Hausaufgaben nicht machen und so weiter… Die Rechtsprechung sei aber prinzipiell kompetent genug, um die gegenwärtigen Probleme lösen zu können. Mag sein. Was mich interessiert, ist nicht die Juristerei, sondern die Praxis. Und wenn in der Praxis die gewünschte Wirkung ausbleibt, was sie offensichtlich meistenorts tut, dann kann das Mittel noch so korrekt sein, es funktioniert halt einfach nicht.

Liegt da ein Vollzugsdefizit vor? Tun sich die Gemeinden schwer mit der Umsetzung der möglichen Wirkkraft der Gesetzgebung?

Sicher. Ein ganz generelles Problem der Ortsplanung liegt in der Stunde Null. Da muss nämlich Geld für Investitionen gesprochen werden, die erst Jahre, wenn nicht Jahrzehnte später einen Ertrag abliefern wird. Wohl auch deshalb schrecken viele Gemeinden davor zurück, ihre Hausaufgaben zu machen. Man stelle sich vor, ein engagierter Gemeindepräsident muss vor seine Exekutive oder gar vor die Gemeindeversammlung treten und erklären: «Es gibt Eurer Meinung nach weder eine Not noch eine Dringlichkeit, aber ich brauche zig Tausende von Franken, um eine Machbarkeitsstudie ausarbeiten zu lassen.» Dann denken doch alle anderen: «Müssen wir bei dem Fieber messen?»

Der wichtigste und auch interessanteste Schritt aber ist genau diese Stunde Null, nämlich die Ausarbeitung einer sauberen Analyse der Probleme und das Aufzeigen von möglichen Lösungen. Das scheitert aber nicht zuletzt an den fehlenden finanziellen Mitteln, die man dafür haben müsste.

Als Lösung des Problems plädiere ich für eine Art Fonds de roulement. Den gibt es in der Wohnbauförderung schon heute. So erhalten beispielsweise Genossenschaften zum Bau ihrer Siedlungen günstiges Geld, das sie später, wenn sie Erträge generieren, zurückzahlen. Der Fonds wird deshalb ständig wieder aufgefüllt und besitzt immer Kapital, um weitere Projekte zu fördern. Eine solche Art Fonds de roulement sollte man auch für die Raumentwicklung äufnen, um ortsplanerische Projekte überhaupt lancieren zu können.

Wie muss die Verdichtung nach Innen vollzogen werden?

Das Zürcher Amt für Raumentwicklung hat 2014 eine Studie herausgegeben, welche die Akzeptanz verschiedener Nachverdichtungen aufzeigt. Das Ergebnis ist rasch zusammengefasst und leuchtet sofort ein: Man muss bestehende Qualitäten schützen, bestehende Defizite beheben und Mehrwerte generieren. Drei Punkte, eigentlich ganz simpel.

Wenn man dies aber ernst nimmt und zu Ende denkt, dann spricht man in erster Linie vom öffentlichen Raum und nicht von einzelnen Bauten. In erster Linie geht es um den Strassenraum, denn dieser fasst unsere Gebäude und Stadträume zusammen. Mit dem Zonenplan aber kann der Strassenraum als solcher oft gar nicht gedacht werden.

Man müsste sich also überlegen, mit welchen Instrumenten man den öffentlichen Raum angehen könnte. Das wäre aber etwas fundamental anderes als die heutige Zonenplanung. Dann würde man auch erkennen, dass Verhältnisziffern vielleicht einmal Probleme gelöst haben, heute aber selbst ein Problem sind. Wir müssen die Planung grundlegend anders und neu denken.

Wenn die Zonenpläne nicht ausreichen, gibt es doch noch immer die Sondernutzungsplanung.

Das stimmt. Die von mir gemachten Erfahrungen mit Sondernutzungsplänen sind aber zwiespältig. Zum einen erlauben sie nämlich bessere Projekte und sind deshalb auch bei Investoren beliebt. Wenn der Bauherr weiss, wie die Fristen sind, welche Ausnützung erzielt werden kann, eine Planungssicherheit gegeben ist, und vor allem auch welche Qualitäten eingefordert werden, dann ist das wunderbar. Dann kann jeder in Qualität investieren und weiss, dass der Nachbar dies ebenfalls tun wird, tun muss. Heute sind wir aber schon so weit reflexartig an einen Gestaltungsplan zu denken, wenn Qualität gewünscht wird. Die Juristen aber wissen, dass eine Sondernutzung ein Sonderfall ist, und nicht zur Regel respektive einer Art eingeschmuggelte Regelbauweise werden darf. Das Bundesgericht stützt diese Einschätzung.

Zudem muss man leider sagen, dass der Weg über Sondernutzugspläne quasi-automatisch zu Planungsinseln führt. Im Rahmen des Nationalen Forschungsprojekts «Neue urbane Qualitäten» (NFP65) habe ich im akademischen Rahmen untersucht, wie Städtebau in der Praxis wirkt. Das Resultat der Studie: Mit Sondernutzungsplänen kommt es zwangsläufig zu Planungsinseln. Dort, wo die Planungsbedingungen gut sind – grössere Areale mit bewältigbaren Eigentümerstrukturen –, sind Entwicklungen homogener und oft auch von hoher Qualität. Letztendlich aber dennoch nichts anderes als homogene Inseln in einem viel heterogeneren Umfeld.

Brauchen wir ein neues Instrumentarium?

Ja und nein. Ich glaube nicht, dass ein einfaches Pflaster, das man auf die heutige Gesetzgebung klebt, im Stande sein wird, die aktuellen Anforderungen zu meistern. Wir brauchen etwas viel Radikaleres. Wir brauchen eine neue Idee davon, wie man eine zeitgemässe Planung überhaupt denken kann. Sie muss zwangsläufig vom öffentlichen Raum ausgehen, vom Allgemeinen ins Private, von der Stadt zum Haus. Wir brauchen eine neue Planungskultur, die aufhört, primär in Nutzungstrennungen zu denken; die war 1890 sinnvoll, heute aber nicht mehr.

Wir brauchen zudem eine Planung, die aufhört, einen Objektfetischismus zu zelebrieren. Natürlich finde ich gute Bauten besser als schlechte, aber mit einem schlechten Gebäude kann ich mich zur Not arrangieren, mit einem schlechten Städtebau hingegen nicht. Wir planen einerseits auf der Ebene des einzelnen Objekts, und wir planen andererseits auf der Ebene der übergeordneten Raumplanung. Aber wir planen momentan leider kaum auf der Ebene, die wir auch tatsächlich wahrnehmen. Unter der mangelhaften Verschneidung von Städtebau und Raumplanung leidet die Aufenthaltsqualität, die Behaglichkeit, und ja: die Bereitschaft, Innenentwicklung im eigenen Umfeld anzunehmen.

Die Analyse ist logisch und offensichtlich. Verschiedene Disziplinen kommen zum gleichen Resultat, deine Studie ja ebenfalls. Aber massgebliche Akteure zücken mit den Schultern und finden, es sei halt einfach schwierig. Und dann wird nichts gemacht. Bevor wir also an ein neues rechtliches Instrument denken, sollten wir uns ins Bewusstsein rufen, dass wir grundlegend eine neue Planungskultur brauchen. Wir brauchen eine radikale Neuausrichtung. Dazu gehört Mut, Initiative und es braucht innovative Ansätze, die über den disziplinären Tellerrand hinausschauen.

Max Frisch und seine Mitstreiter haben in den 50er Jahren vielleicht zum letzten Mal gezeigt, wie vehement man an die Sache rangehen kann. Doch dann wurde es schnell und lange wieder ruhig. Sie waren aber auch zeitbedingt Rufer in der Wüste. Wir hingegen befinden uns heute in einer ganz anderen Situation. Alle Kraftfelder zeigen in dieselbe Richtung. Das commitment zur Innenverdichtung ist vorhanden: die Bevölkerung hat diese ausdrücklich eingefordert, die Investoren sind aufgesprungen und es gibt gute Beispiele, die mögliche Lösungswege aufzeigen. Wir haben gegenwärtig ein Momentum, um die Planung grundlegend neu aufzugleisen. Wir sollten dies in Angriff nehmen!