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Lukas Bühlmann
Direktor EspaceSuisse

«Früher dachten wir, dass neue Instrumente nötig wären. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Der Prozess ist entscheidend! Wir brauchen eine neue und breit abgestützte Planungskultur. Und an dieser Planungskultur müssen wir alle zusammen arbeiten.»

Herr Bühlmann, befindet sich die Raumplanung in einer Krise?

Nein, das finde ich überhaupt nicht! Momentan durchleben wir eine sehr spannende und inspirierende Zeit. Durch die erste Teilrevision des RPG kam wahnsinnig viel in Gang. In unserer Tätigkeit in der Beratung von Gemeinden und Kantone merke ich: Es wird wieder über Qualität gesprochen und zwar sowohl hinsichtlich neuer Entwicklungen wie auch hinsichtlich des schützenswerten Bestands. Auch Verfahren und Instrumente werden überdacht. Mittlerweile haben die meisten erkannt, dass es nicht so weitergehen kann wie bisher und bei Bedarf nach Bauland einfach eingezont werden kann.

In der Siedlungsentwicklung geht es heute um eine hochwertige Verdichtung und diese ist sehr facettenreich. Siedlungsqualität, die eine hochwertige Verdichtung auszeichnet, bedeutet: eine gute bevölkerungs- und nutzungsmässige Durchmischung. Aussen-, Frei- und Grünräume, wo man sich trifft und durchatmen kann. Identität und Geschichte, die spürbar sind, eine gute Nahversorgung, etc. Die wichtigen Fragen sind somit alle auf dem Tisch und müssen besprochen und umgesetzt werden. Und zwar von allen Akteuren, von Politikern, Raumplanerinnen, Juristen, Architektinnen, Landschaftsarchitekten. Alle pflegen momentan noch etwas zu sehr ihr eigenes Gärtchen, obwohl es allen um dasselbe geht. Ich plädiere deshalb für eine stärkere Zusammenarbeit und es braucht auch neue Prozesse. Prozesse, die diese Zusammenarbeit fördern, zu guten Resultaten führen und die Beschwerden reduzieren.

Wie sollen sich Architekten im Diskurs um die Verdichtung gegen innen einbringen?

Die Architekten müssen noch kreativer sein! Zu schnell meinen sie, das Recht verhindert dieses und jenes. Dabei lässt das Recht viel Spielraum offen, man muss ihn nur kennen und nutzen. Die Architekten beklagen sich viel zu schnell über die Baugesetze. Dabei sind diese nur ein Teil des Puzzles, das viel komplexer ist, da kommen – von gesellschaftlichen und ökonomischen Anliegen ganz zu schweigen – noch weitere Normen hinzu, Hygienevorschriften, der Lärmschutz, Parkplatzvorschriften, Brandschutz und dergleichen.

Sicher könnte und müsste man da einiges deregulieren und flexibilisieren. Letztlich aber müssen wir lernen, mit der Komplexität umzugehen. Wo viele Menschen dicht zusammenleben und in einer Zeit, wo die Menschen immer mehr auf sich selber schauen und der Gemeinsinn verloren geht, kommen wir um Vorschriften nicht herum. Aufgabe der Architekten muss sein, die vorhandenen Spielräume ausfindig zu machen und kreativ zu nutzen, statt sich nur zu beklagen.

Und auf Seite der Behörden?

Auch auf Seite der Behörden braucht es engagierte Leute, die diesen Spielraum mittragen und ermöglichen. Anstelle eines «Das kann man nicht machen!» wünsche ich mir seitens der Behörden vermehrt kreative Lösungen. Lösungen, die aufzeigen, wie das Gewünschte im Rahmen des geltenden Rechts realisiert werden kann.

Bleiben wir beim Recht. Brauchen wir nicht auch neue rechtliche Grundlagen und Instrumentarien?

Früher dachten wir, dass neue Instrumente nötig wären. Heute bin ich mir da nicht mehr so sicher. Viel wichtiger ist es, die Prozesse zu überdenken und so auszugestalten, dass die verschiedenen Anliegen frühzeitig auf den Tisch kommen und Konflikte rechtzeitig erkannt und verhindert oder minimiert werden können. Wichtig für solche Prozesse sind auch die Grundhaltungen der darin involvierten Personen. Die Beteiligten müssen offen, kritikfähig und lösungsorientiert sein und dürfen den Aufwand für gute Lösungen nicht scheuen. Der Prozess ist entscheidend! Denn wenn zuerst ein detailliertes Projekt ausgearbeitet wird, das rechtlich nicht realisierbar oder gesellschaftlich gar nicht erwünscht ist, also an der Urne oder vor Gericht scheitert, dann muss mitunter der ganze Planungsaufwand in den Sand geschrieben werden. Wir brauchen eine neue und breit abgestützte Planungskultur. Und an dieser Planungskultur müssen wir alle zusammen arbeiten.

Können die üblichen abstrakten Zonenpläne für die Innenverdichtung überhaupt genutzt werden?

Abstrakte Zonenpläne reichen dazu nicht aus. Vielmehr brauchen wir massgeschneiderte Lösungen. Man darf Zonenpläne aber nicht einfach unter einem Titel subsumieren, es gibt ja in den Kantonen und Gemeinden unzählige mögliche Formen. Das Zürcher Planungs- und Baugesetz ist nach meiner Erfahrung mit seinem abschliessenden Katalog an möglichen Nutzungszonen sehr restriktiv. Andere Kantone sind da grosszügiger und erlauben es den Gemeinden, die Zonen besser auf die örtlichen Gegebenheiten abzustimmen. So kennt der Kanton Zug zwar wie der Kanton Zürich eine abschliessende Regelung von Nutzungszonen. Mit der «Bauzone für spezielle Vorschriften» hat er jedoch eine Art Blankozone geschaffen. Diese erlaubt mehr Flexibilität. Das müsste der zu verfolgende Ansatz sein, Zonen zu schaffen, die auf einen konkreten Ort zugeschnitten werden können.

Was ich zudem gut finde, sind die «Zonen mit Planungspflicht» im Kanton Bern. Vergleichbare Instrumente gibt es auch anderswo. Die Idee der Berner Lösung ist, dass in der Grundordnung Gebiete ausgewiesen werden können, die planungspflichtig sind und die Grundordnung dabei einen grossen Spielraum zulässt, beispielsweise bezüglich Art und Mass der Nutzung. Konkretisiert wird die Nutzung in der sogenannten Überbauungsordnung, einer Sondernutzungsplanung, die jedoch von der Exekutive und nicht vom Souverän erlassen wird. Dies erhöht die Planungs- und Rechtssicherheit. In Zürich kommen die Gestaltungspläne ja vor den Souverän, was die Prozesse verlängert und erschwert, denn die Grundeigentümer und Investoren sind von einer politischen Grundstimmung abhängig. Politische Einflussnahme ist in der Raumentwicklung wichtig; sie sollte aber auf der Ebene der Nutzungsplanung erfolgen und nicht in der Sondernutzungsplanung.

Neben der Grundordnung und der Sondernutzungsplanung gibt es ja noch informelle Instrumente. Was halten Sie von diesen?

Gerade auch auf informellen Weg passiert heute sehr viel Gutes, also mittels räumlichen Entwicklungskonzepten, Masterplänen, Leitbilder und dergleichen. Das schweizerische Recht lässt hier viel Spielraum, und das soll auch so bleiben. Häufig wird bei diesen informellen Instrumenten über die Verbindlichkeit gestritten. Meine Erfahrung: Wenn diese Prozesse gut aufgegleist sind und die Ergebnisse inhaltlich überzeugen, ist es egal, ob sie rechtlich verbindlich sind oder nicht. In diesen Fällen entfalten sie eine Verbindlichkeit, eben weil sie überzeugen. Umgekehrt gibt es ja immer wieder Situationen, wo selbst formelle Instrumente wie kommunale oder regionale Richtpläne nicht umgesetzt werden, weil sie inhaltlich schlecht sind.

Betreffend der politischen Grundstimmung: Wie kann die Bevölkerung ins Boot geholt werden?

Heute haben wir neue Möglichkeiten, insbesondere Visualisierungen, um der Bevölkerung die gewünschte Entwicklung aufzuzeigen. Früher war das viel schwieriger. In vielen Fällen wussten wohl selbst diejenigen, die den Zonenplan ausgearbeitet hatten, nicht, was herauskommen wird. Bilder, Modelle oder virtuelle Simulationen können diese Entwicklung heute besser aufzeigen. Es gibt ja auch neue Formen der Partizipation, wenn wir zum Beispiel an die Workshops auf dem SBB-Areal Neugasse in der Stadt Zürich denken. Das Problem ist hier oft die Repräsentation. Nur ein kleiner Teil der Bevölkerung nimmt an diesen Mitwirkungsprozessen teil; abstimmen wird aber letztlich die ganze Stadt.

In Sachen Partizipation gibt es im Kanton Luzern einen interessanten Ansatz. Hier verlangen gewisse Gemeinden von den Grundeigentümern Bebauungskonzepte, bevor sie den Zonenplan ändern. Die Konzepte müssen anhand von Modellen ausgearbeitet und auch der Nachbarschaft präsentiert werden. Dies erhöht die Akzeptanz und reduziert die Einsprachen.

Auch auf der Ebene der Baubewilligung wird heute der Qualität mehr Bedeutung beigemessen. So suchen in verschiedenen Gemeinden die Bauämter schon früh das Gespräch mit den Bauherren und begleiten das Verfahren, oder sie bieten Beratungen an. Interessant ist in diesem Zusammenhang das Langenthaler Workshopverfahren mit seinen mehrstufigen Jurierungen und der nachträglichen Überarbeitung von Bauvorhaben. Die Resultate sind oft so überzeugend, dass sich die Bauherren freiwillig dem Verfahren unterziehen.

Und falls das Bauprojekt nicht den rechtlichen Regeln entspricht, dennoch aber eine gute Lösung aufzeigt? Sollen dann Ausnahmen erlassen werden dürfen?

Ja, aber der gesetzliche Weg muss eingehalten werden. Viele Gesetze lassen Ausnahmen zu und diese Ermessensspielräume müssen genutzt werden. Auch die Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe bietet einen gewissen Entscheidungsspielraum. Zum Teil sehen die Vorschriften vor, dass die Ausnahmen vom Kanton erlassen werden. Dies ist richtig, denn so hat man in der Regel die Gewähr für eine einheitliche und willkürfreie Praxis. Falls aber eine einzelne Gemeinde für die Ausnahme zuständig ist, besteht die Gefahr, dass Partikularinteressen verfolgt werden. Dann braucht es nur einen finanzkräftigen Investor, und die Gemeinde wird über den Tisch gezogen. Ausnahmen sind mit Zurückhaltung zu gewähren. Sie dürfen nicht zur Regel werden, ansonsten muss man die Grundordnung überdenken.

Welche Rolle spielen die Gemeinden in der Raumplanung? Sie sollten doch am besten wissen, wie Innenentwicklung auf ihren Gebieten überhaupt erzielt werden kann?

Stimmt, doch sind viele Gemeinden leider nicht für diese anspruchsvolle Aufgaben gewappnet. Etwas im Bestand zu entwickeln ist deutlich schwieriger als auf der grünen Wiese. Dafür braucht es das Wissen von Experten. Vor allem kleinere Gemeinden haben häufig nicht die Ressourcen, um Fachleute einzustellen oder externe Planer einzubeziehen. Im Tiefbau, wenn es um Infrastrukturanlagen geht, werden die hohen Kosten oft akzeptiert. In der Raumplanung ist schnell mal alles zu teuer. Dabei wird vergessen, dass Planungen, welche die Weichen für die Zukunft stellen, vergleichsweise gar nicht so teuer sind und mögliche teure Fehlplanungen unterbinden können.

Die Gemeinden müssen wissen, was sie wollen und wohin die Reise geht. Sie brauchen deshalb Raumentwicklungskonzepte, Siedlungsleitbilder und dergleichen. Diese helfen ihnen auch beim Verhandeln. Sparen sollte man dabei nicht. Das Bewusstsein für eine aktive Planungskultur hat erfreulicherweise viele Gemeinden erreicht. Es dürfte aber noch mehr geschehen.

Können nicht die Kantone solche Anforderungen vorgeben und die Gemeinden dazu bringen, sich aktiv um die Gestaltung ihrer Zukunft einzusetzen?

Viele Kantone schreiben den Gemeinden heute vor, dass sie ein Siedlungsleitbild, ein Raumkonzept oder dergleichen erarbeiten müssen. Das finde ich eine schöne Errungenschaft, denn das sind genau die grundlegenden konzeptionellen Überlegungen, welche die Gemeinden voranbringen Dann diskutiert man nicht mehr isoliert über ein Schulhaus, einen Veloweg oder die Läden, die verschwinden, sondern über die gesamte kommunale Entwicklung. Ich bin ein grosser Befürworter solcher Konzepte. Sie müssen aber zwingend mit der Bevölkerung ausgearbeitet werden, denn das gibt die nötige Bodenhaftung.