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Martin Hofer
Architekt, Entwicklungsberater,
Ethiker, Mitgründer Wüest & Partner

«Die Nutzung sollte frei sein. Die Ausnützung sollte frei sein.»

Herr Hofer, wo sehen Sie Probleme in der Baugesetzgebung und Raumplanung?

Bereits die Zonenplanung per se halte ich für einen Unsinn. Sie basiert auf der Charta von Athen und den Idealen der Moderne. Deren Ziel war die funktionsgetrennte Stadt: Dort die qualmende Industrie, hier das Wohnen im Grünen, dazwischen Schnellstrassen. Das war gut gemeint, aber heute wollen wir das nicht mehr. Die Schweiz besitzt nahezu keine Schwerindustrie mehr, dafür Innenstädte, die nachtsüber ausgestorben sind, weil ein Grossteil der Bevölkerung in Schlafstädten wohnt. Für die heutige Gesellschaft sind die Ergebnisse der funktionsgetrennten Stadt verheerend.

Ich plädiere deshalb dafür, die Zonen aufzuheben. Die Nutzung soll frei sein. Im besten Falle entstehen multifunktionale Siedlungen und Städte, mit einer vertikalen statt horizontalen Verteilung der Nutzungen: Unten Publikumsnutzung, darüber Büros oder Gewerbe, dann Wohnungen. Das würde auf einfache Art und Weise viel mehr Leben generieren. Dass wir noch immer mit violetten, gelben oder orangen Zonen operieren müssen, ist schlichtweg überholt.

Sie wünschen sich also nutzungsdurchmischte Quartiere. Muss man die multifunktionale Nutzung gesetzlich vorschreiben, oder darf das dem Markt überlassen werden?

Es gibt ja bereits heute Mischzonen. Und ich denke durchaus, dass der Markt richtig reagieren wird. Dazu benötigt man aber flexible Strukturen, also Bauten, die Unterschiedliches zulassen. Wenn Büros nachgefragt werden und keine Wohnungen, dann sollen aus Wohnungen Büros werden können – und umgekehrt.

Die Zonenplanung gibt aber nicht nur die Nutzung vor, sondern mittels des dazugehörigen Regelwerks auch die Bebaubarkeit einer jeden Parzelle, bis hin zur Vorgabe einzelner Bauelemente, zum Beispiel das berühmt-berüchtigte Attikageschoss.

Solche komischen Ausformungen auf den Dächern versuchte man ja über die Baumassenziffer abzuschaffen. Anstelle von klar definierten Geschosstypen sieht diese vor, eine bebaubare Masse vorzuschreiben, die frei verbaut werden darf. Wichtig ist ja, wie viel Volumen in Erscheinung tritt.

Sind Baumassenziffern also die Lösung?

Ich denke nein. Vielmehr sollte es gar keine Ausnützungsziffer mehr geben. Die Nutzung sollte frei sein. Die Ausnützung sollte frei sein.

Was oder wer würde bei einem solch freien Vorgehen die Qualität und Verträglichkeit von Neubauten gewährleisten?

Eine Ethikkommission, die aus Personen gebildet werden muss, die einerseits kompetent sind, andererseits aber auch unbefangen und unbeteiligt. Vetternwirtschaft müsste natürlich unterbunden werden. Sie müssen nicht zwingend Architekten sein, vielmehr Menschen, die einen gesunden Menschenverstand besitzen und was vom Leben verstehen. Möglichst objektive und weise Richter also. Diese sollen projektbezogene und somit konkrete Baugesuche gutheissen oder ablehnen. Wenn jemand beispielsweise ein achtgeschossiges Gebäude in einem viergeschossigen Kontext errichten möchte, der erhält wohl keine Baubewilligung – ausser, das Projekt ist sehr überzeugend. Und dann zieht die Nachbarschaft vielleicht sogar mit.

Und natürlich brauchen wir auch gute Bauherren und Architekten, die über den Tellerrand schauen. Das muss schon bei der Ausbildung gefördert werden. Dazu müssen verschiedenste Akteure bereits im Studium an einen Tisch gebracht werden: Architekten, Ingenieure, aber auch Juristen, Historiker, Theoretiker und Bauhandwerker.

Und was ist mit dem Markt? Wie lassen sich bei einem solch offenen Verfahren Grundstücke bewerten und veräussern?

Dann ist halt auch der Verkauf und die Bewertung einer Liegenschaft an ein konkretes Projekt gebunden. Der Wert eines Grundstücks bestimmt sich dann zunächst nur unter Vorbehalt. Wenn ein Projekt gutgeheissen wird, dann wird sich das auch im Grundstückswert niederschlagen. Wenn keine Bewilligung erteilt wird, dann wird vielleicht nicht oder nur zu einem tieferen Preis das Grundstück erworben.

Was ich hier präsentiere, sind plakative Denkanstösse, keine ausgereiften Konzepte. Doch muss ich leider sagen, dass all die Baugesetze, die wir haben, eigentlich nichts genutzt haben. Auch seit wir die Raumplanung haben, wurde es nicht besser. Darum kann ich mit gutem Gewissen vorschlagen, dass wir alles frei lassen und dafür einen «Rat der Weisen» zur Entscheidung der Bauvorhaben bilden sollen.